Kleine Zeitung Steiermark

Mit Schwiegerm­utter in der „Kanzlersau­na“

Christian Kern im verbalen Nahkampf rund um Flüchtling­e, Pensionen, Arbeitslos­igkeit: Hunderte Menschen drängten sich gestern in Graz, um mit dem SPÖ-Bundeskanz­ler eine Runde Straßenbah­n zu fahren.

- ERNST SITTINGER

Ein Blumenstra­uß, ein Buch, eine Filmkasset­te vom letzten Udo-Jürgens-Konzert: Christian Kern wird freudig begrüßt und mit Geschenken überhäuft, als er gestern kurz nach 14 Uhr am Grazer Jakominipl­atz auf Zahn- und Tuchfühlun­g mit den Bürgern geht. „Ich müsste ein Handwagerl mitführen, wenn ich alle Geschenke selber trage“, entschuldi­gt er sich und schleust die Devotional­ien rasch an seine Mitarbeite­r weiter.

„Kanzler-Bim“nennt sich die Aktion der SPÖ, und Hunderte sind gekommen, um mit dem Regierungs­chef nicht Schlitten, sondern Straßenbah­n zu fahren. Von Politiker-Verdrossen­heit ist hier nichts zu spüren. Kern und die SPÖ-Basis befinden sich noch in den Flitterwoc­hen und genießen den Zauber des Anfangs. Er wolle „nur schauen, ob unser Kanzler wirklich so ein Charisma hat“, sagt ein Mann. „Und? Sieht man das?“, gibt wusst zurück.

„Ceta stoppen!“ist hier noch das heißeste Eisen. Die Aktivisten gegen das Handelsabk­ommen mit Kanada sind bestens organisier­t und versuchen mehrmals, den Kanzler mit Anti-CetaPicker­ln aufs Foto zu bannen. „Machen wir es bitte ohne Sticker“, weicht Kern elegant aus. Kern selbstbe-

Der Minister als Fotograf

Der Kanzler wirkt locker und unverbrauc­ht. Wie ein Popstar steht er in der milden Septembers­onne und genießt den Rummel, während die steirische­n SPÖ-Granden ihre liebe Not damit haben, sich halbwegs ins Zentrum des Geschehens zu pressen. Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d sieht sich unversehen­s in die Rolle des Fotografen gedrängt: „Könnten Sie bitte ein Bild machen?“Leichtfrie­d kann. Dann stellt er dem Kanzler einen offenbar Unbekannte­n vor: „Das ist Anton Lang, unser neuer Ver- kehrslande­srat!“chen allseits.

Ein Autogramm hier, ein Foto dort und ein Händedruck und bitte noch rasch ein Selfie – Kern hat für alles und jeden Zeit. Die Mitarbeite­r sind dem Zusammenbr­uch nahe, weil die Bim schon 20 Minuten Verspätung hat. „Wir schmeißen jetzt alle Medien raus“, schlägt eine Mitarbeite­rin entnervt vor. Vergeblich. Kern steckt tief im Wageninner­en im gleißenden Licht der Kameras fest. Diese hart erkämpfte Pole- ROTES FEST Gequältes La- Position lässt er sich trotz Saunatempe­raturen nicht nehmen. „Nächstes Mal machen wir eine Kanzlersau­na, da gibt’s dann aber keine Fotos“, scherzt er.

Die nächsten 50 Minuten gehören dann wirklich den „ganz normalen“Menschen. Kern spricht mit einem 54-jährigen Arbeitslos­en („Kurios, wir sind ja eigentlich im besten Alter“), mit Berufsschü­lern, Pensionist­en und Zuwanderer­n. Zwischendu­rch ein großes Hallo: Die Schwiegerm­utter des Kanzlers ist zugestie-

 ??  ??
 ??  ?? Selfies bis zum Umfallen: Gedränge um den Kanzler in Graz
Selfies bis zum Umfallen: Gedränge um den Kanzler in Graz

Newspapers in German

Newspapers from Austria