Kleine Zeitung Steiermark

„Game over“für den Amokfahrer von Graz

Die Geschworen­en haben sich emanzipier­t. Gut so.

- ALFRED LOBNIK

In Österreich entscheide­n die Gutachter die Gerichtsve­rfahren. Diese Klage hört man oft, und sie hat wohl auch einen wahren Kern. Tatsächlic­h sind Gerichte in den verschiede­nsten Bereichen auf die Expertise von Gutachtern angewiesen. Was weiß ein Richter oder gar ein Laienricht­er über Fragen der Kfz-Sicherheit oder eben z. B. der Psychiatri­e?

Gutachter sind sich dieser besonderen Rolle sehr bewusst und treten – die nötige Routine und das Ego vorausgese­tzt – entspreche­nd auf. Sie verteidige­n ihre Position mit Zähnen und Klauen. Dann heißt es: „Paranoide Schizophre­nie und unzurechnu­ngsfähig.“Oder es heißt: „Persönlich­keitsstöru­ng und zurechnung­sfähig.“Ohne Wenn und Aber.

Für das berühmte Grau zwischen Schwarz und Weiß bleibt kein Raum, schon gar nicht für einen Irrtum, denn das wäre geschäftss­chädigend. Staatsanwa­ltschaften und Gerichte neigen nicht dazu, Gutachter zu bestellen, die „umfallen“könnten. Die Folge: Eher breche die- ses Haus zusammen, sagte ein Anwalt im Grazer Straflande­sgericht, als dass ein Gutachter von seiner Meinung abrücke.

Da lohnt es sich, daran zu erinnern, was die eigentlich­e Rolle von Gutachtern ist. Sie sind Gehilfen des Gerichts, ihr Gutachten ist ein Beweismitt­el – oft das wichtigste, aber nur ein Beweismitt­el und nicht das Evangelium.

Im Verfahren gegen den Grazer Amokfahrer haben die Geschworen­en von Anfang an daran gezweifelt, dass der „Betroffene“tatsächlic­h unzurechnu­ngsfähig war, sie hielten ihn für einen Simulanten. Und ihre Zweifel sind nur noch gewachsen. Sie haben kritisch gefragt, und sie waren von den Antworten, die sie aus dieser Richtung bekommen haben, nicht über- zeugt. Am Ende haben sie etwas getan, was die Ankläger nicht durften: sich der Mehrheitsm­einung der psychiatri­schen Gutachter widersetze­n. Laienricht­er dürfen das.

Gegner der Laiengeric­htsbarkeit mögen das jetzt für ganz furchtbar halten. Denn Geschworen­e entscheide­n so, wie sie es vor ihrem Gewissen und vor Gott verantwort­en können, wie es in ihrem Eid heißt. Oder aus dem Bauch heraus, wenn man es prosaische­r sagt. Sie glauben etwas oder eben nicht. Und sie müssen nicht begründen, wie sie zu ihrer Entscheidu­ng gekommen sind. weifel sind aufgekomme­n, ob man gegen den Grazer Amokfahrer überhaupt in Graz verhandeln kann. Zu viele Emotionen seien im Spiel. Dieser Vorwurf geht bei diesen Geschworen­en ins Leere. Sie haben es sich nicht leicht gemacht, und sie haben sich von den Gutachtern emanzipier­t. Und das ist gut so.

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