Rote Rückeroberung: In Wels beginnt’s
In seiner Grundsatzrede will Kern mit alten roten Denkmustern aufräumen. Ein 130-Seiten-papier wird beigelegt.
GRUNDSATZREDE
Christian Kern hätte die Weihnachtsfeiertage in seinem Haus am Millstätter See auch anders verbringen können. Statt zum guten Buch zu greifen, vertiefte sich der Kanzler in Berichte des Rechnungshofes. Aus gutem Grund: Heute will der Kanzler und SPÖ-CHEF in der einstigen Arbeiterhochburg Wels grundsätzliche Überlegungen über den Umbau Österreichs anstellen. Keine Institution legt so den Finger auf die institutionellen Schwachpunkte des Landes.
Kern hält seine Grundsatzrede nicht in Favoriten oder an einem Ort, wo die rote Welt noch einigermaßen in Ordnung ist. Der SPÖ-CHEF hat sich für Wels entscheiden, wo die Sozialdemokratie im Jahr 2015 die Macht an die Freiheitlichen abgeben musste. Viel zu lang hatte sich die Welser SPÖ mit beschönigenden Worten über das Unbehagen der Bevölkerung hinweggeturnt, jeder vierte Welser hat keinen österreichischen Pass. Kern macht kein Geheimnis daraus, dass er die SPÖ für genauso sanierungsbedürftig hält wie die Republik und die einst stolze Partei nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.
„Was mich am meisten an Strache interessiert, sind seine Wähler“, ruft Kern unmissverständlich zur Rückholung enttäuschter Genossen auf. Kern geht gleichzeitig in urban-liberalen Wählerschichten, die zu den Grünen tendieren, auf Stimmenfang. Unter dem Strich könnte sich dann, so das Kalkül im roten Lager, Platz eins schon ausgehen – vor Strache und auch Kurz.
Welches Angebot der SPÖCHEF heute den Wählern vorlegen wird, darüber wird strengstes Stillschweigen bewahrt. Dass die Welser Rede nicht als eine von Dutzenden, in den letzten Jahren inflationär gehaltenen Grundsatzreden verpuffen soll, erkennt man daran, dass der Ansprache ein mehr als 130-seitiges Zukunftskonzept beigelegt werden soll.
Was darin steht, darüber kann nur spekuliert werden. In der Flüchtlingspolitik hat Kern längst eine härtere Gangart (reduzierte Familienbeihilfe für Osteuropäer, kleinere Zuschüsse bei Arbeitsverweigerung, scharfes Vorgehen gegen Salafisten) eingeschlagen. Das eine oder andere Tabu könnte in der Uni- oder der Gesundheitspolitik fallen. Seit seinem Amtsantritt scheint sich beim Kanzler eine gewisse Ernüchterung über die schwierigen Entscheidungsprozesse im Dickicht von Ländern, Lobbys eingeschlichen zu haben. Dem Vernehmen nach könnte Kern auch hier mit Vorschlägen aufwarten.