Überraschend mutlose Revue oder Es fährt ein Zug nach Nirgendwo
Uraufführung in Graz: Eine Vorstellung mit Musik will „Redaktionsschluss!“von Sandy Lopicˇic´ sein. Und ist nicht mehr. Einen brisanten Abend darf man sich nicht erwarten.
SCHAUSPIELHAUS-PREMIERE
In den vergangenen zehn Jahren starben mindestens 700 Medienschaffende weltweit wegen ihrer Tätigkeit, etwa 350 sitzen derzeit im Gefängnis. (...) Nicht nur ein deutsches Volkslied weiß, dass die Gedanken frei sind ... genau wie die Musik. Und Gedanken und Musik, beide immateriell und flüchtig, können kleine und große Veränderungen anstoßen“, heißt es im Programmheft zu „Redaktionsschluss!“, einem Abend, den Musiker und Regisseur Sandy Lopicˇic´ als Nachfolger des Publikumshits „Trümmerfrauen“aus der letzten Saison entwickelt hat.
Das Stück ist inspiriert vom 4. März 2016, dem schwarzen Tag für die türkische Presse, als in Istanbul eine Redaktion von der Polizei gestürmt und die oppositionelle Zeitung „Zaman“unter die Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt wurde.
Lügenpresse und Fakenews, Verschwörungstheorien und Gegenwahrheiten, Pressefreiheit und Kontrolle, die Hatz auf regierungskritische Medienmitarbeiter in der Türkei, den Kritiker mundtot machen – angesichts der The- dieser Arbeit hatte, an seine Grenzen. In einem passenden Ambiente, das Newsroom, Tonstudio oder Probenraum sein könnte – gelungen belebt durch die Lichtstimmungen und die Visuals bzw. Projektionen (Viktor Fellegi und Herwig Baumgartner).
„Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“, lautet ein Evergreen von Christian Anders. Diesen Schlager aus 1972 hätte Lopicˇic´ konsequenterweise in seine „Vorstellung mit Musik“einbauen müssen, führt der eineinhalbstündige Abend mit fast zwei Dutzend Liedern doch nirgendwohin. Oder eben nach 20 musikalischen Darbietungen, die meist ohne Übergänge einfallslos aneinandergereiht wirken, in Herbert Grönemeyers „Stück vom Himmel“endet.
Bis dahin standen etwa Police, Andrew Lloyd Webber, Kurt Weill, David Bowie, Tom Waits und Marianne Faithfull auf dem Programm.
Das tolle Ensemble – fünf Schauspieler und fünf Musiker – vermochte es freilich, die Herzen des Premierenpublikums zu erobern. Und wird sicher für ein volles Haus sorgen. Christian Ude