Enthüllungen über das Kopftuch
EDMs gibt viele Gründe, sich ein Tuch aufs Haupt zu binden: kulturelle, religiöse, modische oder ganz einfach praktische. Ein Kopftuch schützt vor Kälte, Wind, Staub oder Sonne. Das schätzen auch Piraten oder Skitourengeher. Als Werner Berg 1951 seine Dichterfreundin Christine Lavant porträtierte, war es für die weibliche Bevölkerung seiner Südkärntner Wahlheimat üblich, Kopftuch zu tragen – nicht nur bei der Arbeit auf dem Feld oder im Stall, sondern auch in der Kirche. Davon zeugen auch viele andere Werke des 1981 freiwillig aus dem Leben geschiedenen Malers.
Doch auch die feinere Gesellschaft liebte das zum Dreieck gefaltete Stück Stoff. Filme wie „Frühstück bei Tiffany“oder „Über den Dächern von Nizza“zeigen Audrey Hepburn oder Grace Kelly mit einem kunstvoll unter dem Kinn gekreuzten und im Nacken verknoteten Tuch. Bis heute ist eine Königin das prominenteste Model für diese Art Kopfbedeckung. Selbst wenn Elisabeth II. mit ihren 90 Jahren einen Ausritt wagt, würde sie sich niemals einen Helm aufsetzen, sondern trägt lieber ein schmuckes Kopftuch. ass dieses heute trotzdem in Verruf geraten ist, hat vor allem mit der patriarchalen orientalischen Vorstellung zu tun, dass insbesondere verheiratete Frauen ihre Reize vor fremden Männern zu verhüllen hätten. Solche Gedanken findet man im orthodoxen Judentum ebenso wie im Islam oder bei konservativen christlichen Gemeinschaften wie den Hutterern. Dass auch die meisten Ordensfrauen das Verhüllen ihres Haares bevorzugen, hat mit denselben Vorbehalten gegenüber irdischen Ver-lockungen zu tun.
Im Falle von Christine Lavant, die Werner Berg in mehr als einem Dutzend Ölgemälden, Holzschnitten und Zeichnungen verewigte, hatte das Kopftuch auch eine kosmetische Funktion. Die hauptsächlich vom Stricken lebende Lavanttalerin litt als Mädchen unter tuberkulösen Geschwulsten, die sie beinahe erblinden und ertauben ließen. Mithilfe von Röntgenstrahlen wurden ihre „Skrofeln“zwar „weggebrannt“, doch die Narben an Hals und Gesicht blieben und wurden schamhaft unter Tüchern verborgen. it seinen ausdrucksstarken Porträts prägte Werner Berg das Bild von der stets schlaflosen und nikotinsüchtigen Schmerzensfrau und gibt zugleich eine Ahnung von der „Amour fou“, die den verheirateten Maler mit seiner um elf Jahre jüngeren „Christl“verband und an der letztlich beide zerbrachen. Wenn Christine Lavant nach der Trennung von ihrem „Hexenmeister“Weltliteratur schrieb, dann ist dies zu einem guten Teil ihrer unvollendeten Liebe zu verdanken. Durchgängiger Tenor ihrer dichterischen Klage, die 1973 nach erst 58 Lebensjahren allzu früh verstummte: „Ich frag mein Herz, das Stundenglas,/wie lang die Welt noch steht,/es zittert wie ein Schmelchengras/und hat sich umgedreht./wer ist an diesem Unglück schuld?/ich sag den Namen nicht./schon halbertränkt, doch voll Geduld/blühn die Vergißmeinnicht.“(aus: „Die Bettlerschale“) Erwin Hirtenfelder