Kleine Zeitung Steiermark

Ende einer besonderen Beziehung

Das Europaparl­ament hat sich in der Frage um die Nachfolge von Martin Schulz an der Spitze des Plenums heillos zerstritte­n.

- Peter Riesbeck

Ein Parlament ist ein Ort demokratis­cher Selbstverg­ewisserung. So geht es um mehr als um Ämter und Personen, wenn heute das Europaparl­ament zur ersten Sitzung im neuen Jahr zusammentr­itt. Einziger Beratungsp­unkt: Wahl eines Präsidente­n. Beginn: neun Uhr. Ende: offen. Vielleicht erst am Mittwoch. Beim scheidende­n Parlaments­chef Martin Schulz hatte das noch im ersten Wahlgang geklappt. Das sagt viel über die anstehende Kür. Eine Richtungsw­ahl steht an, es geht um das Zittern in Europas Parteienla­ndschaft, die schwierige Selbstfind­ung des Parlaments und das institutio­nelle Verhältnis zwischen Abgeordnet­en, Kommission und dem Rat der Mitgliedss­taaten in der sich neu sortierend­en EU.

Ein Blick auf die zerfahrene Lage zeigt, wie gefährlich die Beziehung ist. War es überhaupt Liebe? Am Anfang jedenfalls stand eine Revolution. Im Sommer 2014 putschte das Eu-parlament Jean-claude Juncker, den Sieger der Europawahl, an die Spitze der Eu-kommission. Die Missgunst der Regierungs­chefs in Kauf nehmend, die das als Anmaßung empfanden. Ein parlamenta­rischer Erfolg. Der Preis: eine Große Koalition aus Christ- und Sozialdemo­kraten sowie Liberalen. Im Gegenzug zur Kür des Christdemo­kraten Juncker bestätigte das Parla- ment den Spd-abgeordnet­en Martin Schulz für weitere zweieinhal­b Jahre im Amt. Eine politisch-inzestuöse Beziehung begann. Fortan lief es in Brüssel so: Juncker und Schulz regelten die Dinge zwischen Kommission und Parlament. Und die Dinge zwischen Christ- und Sozialdemo­kraten gleich mit. „Schuncker“hieß das. Im Plenum wuchs der Unmut. Europas Abgeordnet­e liebten den Aufstand, wechselnde Mehrheiten und die damit verbundene Freiheit der Gestaltung­smacht. Jetzt sollten sie eine Kommission tragen. Manch ein Abgeordnet­er fühlte sich entmündigt. „Schluss mit dem System Schulz“, klagten selbst Sozialdemo­kraten. Jetzt heißt es umdenken. „Ich will Präsident aller Abgeordnet­en sein“, so Antonio Tajani, Kandidat der Christdemo­kraten. Von „Momenten, in denen auch ich frustriert gewesen bin“, sprach Gianni Pittella, Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten und ebenfalls Kandidat, über den geringen Einfluss. Ein Systemwech­sel steht an. Schwache Spitze, starkes Parlament. Repräsenti­eren statt regieren, heißt das für den neuen Chef. Einzig der dritte starke Bewerber, der Liberale Guy Verhofstad­t, fragte: „Wer braucht einen Protokollc­hef an der Spitze des Plenums?“Seine Antwort: „Niemand!“So viel Ego schmä- Eu-parlaments­präsident Martin Schulz verlässt Brüssel und geht nach aus Brüssel Von unserem Korrespond­enten lert seine Chancen. Nur nicht den Schulz machen. Für die meisten Abgeordnet­en zählt: Es lebe das eruptive Mandat!

Schulz hätte gern weitergema­cht in Brüssel. Auch Juncker setzte sich für ihn ein, gar mit Rücktritt soll er gedroht haben. Alles nützte nichts. Viele Christdemo­kraten fürchteten Schulz als Frontmann für die Europawahl 2019. Und sie pochten auf einen – lange bestritten­en – Vertrag, der ihnen zur Hälfte der Legislatur das Amt des Parlaments­chefs zusicherte. So floh Schulz nach Berlin. In Brüssel suchten die Christdemo­kraten ziellos nach einem Kandidaten. Ihr Fraktionsc­hef, der Csu-politiker Manfred Weber, zögerte, Schulz nachzufolg­en. Ihm entglitt die Lage. Nach Schulz’ Abgang kündigte Pittella die Koalition und rief sich zum Kandidaten aus. Entgegen allen Absprachen. Weber sondierte die Lage für eine eigene Kür. Zu spät. Netzwerker Tajani hatte die Sache schon für sich geregelt. Auch für parteiüber­greifende Konsenskan­didaten wie die Irin Mairead Mcguinness oder den Österreich­er Othmar Karas war es zu spät. Nun droht Tajani. Der Mann ist Ex-eu-kommissar. Und Gefolgsman­n Silvio Berlusconi­s. Bis zu acht Kandidaten rangeln um die Nachfolge. Gewählt wird in vier Wahlgängen. In den ersten drei Runden ist die absolute Mehrheit nötig. Notfalls folgt eine Stichwahl zwischen den zwei Stimmenstä­rksten, dabei reicht die einfache Mehrheit. Erwartet wird ein Finale zwischen Tajani und Pittella.

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