LEITARTIKEL Zeitenwende
Der künftige Us-präsident Donald Trump hält die Nachkriegsordnung für hinfällig. Das lässt für die Europäer nur einen Schluss zu: Sie müssen sich endlich von den USA abnabeln.
Ein designierter Us-präsident, der seit Wochen wie ein halbstarker Elefantenbulle durch den Porzellanladen der internationalen Diplomatie trampelt und jetzt auch noch ohne Not Amerikas ältesten Verbündeten Europa verstört, indem er die Nachkriegsordnung infrage stellt. Das ist einmalig! Das gab es noch nie!
Wer von Lissabon bis Warschau darauf gehofft hatte, dass mit Donald Trump im Weißen Haus nicht alles so schlimm kommen werde, wer unverdrossen darauf gesetzt hatte, die Kraft des hohen Amtes werde den twitternden Obertroll aus New York schon noch zähmen, der hat mit dem Interview, das Trump jetzt kurz vor seinem Amtsantritt gab, einen Vorgeschmack darauf bekommen, was Europa wirklich erwartet.
Die Nato? Obsolet. Der Brexit? Eine großartige Sache, die viele Nachahmer finden werde. Die EU? Ein willfähriges Werkzeug der Deutschen, gegründet, um Amerikas Handel zu schaden. Mit ungläubigem Staunen konnte man in der „Bild“-zeitung nachlesen, wie der bald mächtigste Mann der Welt von einem großen Thema zum nächsten irrlichtert. Wie er zetert, höhnt, lobt, droht und sich in bizarren Allmachtsfantasien ergeht. „Kann das sein?“, fragt man sich schaudernd. Kann es wirklich sein, dass in Zeiten wie diesen die Außenpolitik der einzig verbliebenen Supermacht künftig von einem derartig unreifen Einfaltspinsel gestaltet wird?
Es kann und es wird so sein! In den Beziehungen zwischen den USA und Europa kündigt sich eine Zeitenwende an.
Schon unter Barack Obama war transatlantisch längst nicht mehr alles im Lot, ja, in Wahrheit war das Interesse des scheidenden Us-präsidenten an Europa enden wollend. Er sah seine Hauptaufgabe darin, den Rückzug der USA als Weltpolizist zu managen und die Schäden für die USA dabei gering zu halten. Dennoch hielt er letztlich an seinen westlichen Verbündeten und der Nato fest.
Trump kümmert das alles
Rherzlich wenig. Er versteht Weltpolitik als Abschluss einzelner „big deals“, die primär Amerika nützen sollen. Dass er mit der EU nichts anzufangen weiß, dass er nicht begriffen hat, um welch einzigartiges Friedensprojekt es sich handelt, ist schlimm genug. Übel sind auch seine Versuche, mit dem Schüren antideutscher Ressentiments Zwietracht zwischen den Eu-partnern zu säen.
Wirklich dramatisch ist allerdings, dass offenbar auch die Nato Trump so wenig bedeutet. Nie zuvor hat ein Us-präsident den Verteidigungspakt, der Europa jahrzehntelang Schutz vor Moskau gab, so unverhohlen in Zweifel gezogen. Das ist die wahre Zäsur. usslands Aggression mit Härte und Entschlossenheit zu begegnen, wird für die Europäer zweifelsohne nun noch schwieriger werden. Mit der Unterstützung der USA dürfen sie jedenfalls nur mehr eingeschränkt rechnen. Das lässt nur einen Schluss zu: Los vom Rockzipfel der USA! Europa muss endlich erwachsen werden. Will es bestehen, muss es sich auch militärisch auf eigene Beine stellen.