Tajani folgt Schulz nach, Große Koalition zerbricht
Bündnis zwischen Volkspartei und Liberalen ebnet Berlusconi-freund den Weg an die Spitze des Eu-parlaments.
STRASSBURG
Betriebsam wie in einem Bienenstock ging es am Dienstag im sonst so beschaulichen Europaparlament in Straßburg zu: Schrille Glocken mahnten die Abgeordneten zum Aufbruch in den Plenarsaal, der zum Schauplatz einer Wahl wurde, die eine schwere Geburt zu nennen glatt untertrieben wäre.
Die Rede ist von der Kür des Eu-parlamentspräsidenten, bei der sich am Abend erst im vierten und letzten Durchgang der von der Europäischen Volkspartei (EVP) nominierte Italiener und Berlusconi-intimus Antonio Tajani mit 351 zu 282 Stimmen gegen seinen Landsmann, den Sozialdemokraten Gianni Pittella durchsetzte. Der auch bei den eigenen Leuten nicht unumstrittene frühere Eu-industriekommissar folgt dem Deutschen Martin Schulz (SPD) nach, der nach erfolglosen Bemühungen um eine dritte Amtszeit in die deutsche Innenpolitik abgeht.
Das in Wahrheit bedeutsamste politische Ereignis des Tages im Straßburger Parlament hatte freilich schon Stunden davor stattgefunden, als in der Früh der Chef der Liberalen, Der neue Präsident des Eu-parlaments: Antonio Tajani Guy Verhofstadt, völlig überraschend seine eigene Kandidatur zugunsten Tajanis zurückzog und seinen neuen Pakt mit der Europäischen Volkspartei publik machte. Dies sei der erste wichtige Schritt zur Bildung einer proeuropäischen Koalition, um die EU reformieren zu können, erklärte Verhofstadt. Die düpierten Sozialdemokraten sehen das naturgemäß anders. Für sie bedeutet die neue Allianz das definitive Ende ihrer informellen Großen Koalition mit der EVP. Dessen Folgen sind ungewiss. Denn trotz unschöner Packelei hatte das Bündnis für einen geräuschlosen, raschen parlamentarischen Betrieb gesorgt, was der kriselnden EU nicht zum Nachteil gereichte. Auch war es den Großkoalitionären 2014 gelungen, den Sieger der Europawahl, Jean-claude Juncker, ins Amt des Eu-kommissionspräsidenten zu hieven.
Die Sozialisten sind nicht unschuldig daran, dass sie nun das bittere Nachsehen haben. Obwohl es so vereinbart gewesen war, hatte der ehrgeizige Schulz im Herbst seinen Sessel nicht für einen Christdemokraten räumen wollen. Daraufhin war zwischen EVP und S&D ein wildes Hauen und Stechen ums Spitzenamt entbrannt. Stefan Winkler, Straßburg