LEITARTIKEL Die Strafe des Patriarchen
Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll kündigte vorzeitig, zur Überraschung der Mitstreiter, seinen Rücktritt an. Es war die letzte Machtdemonstration eines Erzürnten.
Die gestrige Ankündigung Erwin Prölls, im März zurückzutreten, kam überraschend. Auch für die, die ihm nahestehen. Das avisierte Adieu glich einem Donnerschlag, mehr nach innen als nach außen gerichtet. Der Regieplan des Fürsten hatte vorgesehen, dass er seine Entscheidung in der heutigen Vorstandssitzung der Landespartei bekannt gibt. Der Umstand, dass engste Mitstreiter, die er vor Weihnachten ins Vertrauen gezogen hatte, öffentlich für die präsumtive Nachfolgerin Mikl-leitner warben, soll den Patriarchen erzürnt haben. Prölls Machtbewusstsein konnte die lose Lippe, vor allem des Innenministers, nur als illoyale Anmaßung begreifen. Der gestrige Paukenschlag, vorbei am Führungsgremium, war die standesgemäße Antwort, eine monarchische Affekthandlung mit einer rabiaten Botschaft: „Ihr nicht!“
Viel spricht also dafür, dass Pröll aus Kränkung handelte und nicht, wie viele meinen, in schuldhafter Bedrängnis, aus Einsicht in ein Fehlverhalten, was die unansehnliche Geschichte mit der gemeinnützigen Stiftung betrifft. Den Druck hätte ein Pröll ertragen, die Unbotmäßigkeit von innen nicht.
Tags zuvor war er in Graz eingekleidet und geehrt worden, im Bunde mit Wiens Michael Häupl und Oberösterreichs Josef Pühringer. Wer der Auszeichnung beiwohnte und die ehrliche, irritationsfreie Freude der Dekorierten erlebte, spürte: Hier geht etwas, bizarr und folkloristisch aufgeladen, zu Ende. Solche Bilder würde man nie mehr wiedersehen, weil sie nie mehr möglich sein würden, denn die politische Wirklichkeit wird sie nicht mehr zulassen. Die Selbstfeier der Verdienstvollen, umkränzt von den Landesdirektoren des Rundfunks, war ein anrührender Abgesang unweit des Abgrunds.
„Wir sind die eigentlichen Träger der Politik im Land“, sagte einer der Geehrten. Der Satz zitterte, so erschreckend wahr war er. Wie kein anderer ist Erwin Pröll Sinnbild dieser
PWahrheit. Er hat mit seiner Pranke und Gestaltungskraft das Bundesland zur Blüte gebracht, und er besitzt eine furiose Begabung, die Kunst an sich zu binden. So gelang das vor ihm nur Kreisky. Ein Erwin Wurm oder Peter Turrini sind nicht käuflich, dennoch fühlen sie sich in der Gegenwart Prölls wohl und verstanden. Das Inspirierende und das Verstörende an diesem Politiker begegnen einander auf Augenhöhe. röll ist der mächtigste Politiker der ÖVP. Dass die Macht in St. Pölten und nicht in Wien sitzt, war der Quell vieler Verwerfungen und erklärt beispielhaft die Unregierbarkeit des Landes. Bis in die Familie hinein mag man davon erzählen können. Es ist die Kehrseite der Machtfülle. Die Stiftung ist eines ihrer Kinder. Man wollte dem Verdienstvollen über die Zeit hinaus frühzeitig ein Denkmal setzen: eine privatisierte höfische Dankbarkeit, öffentlich finanziert. Der Landtag fügte sich willfährig, man kennt es aus Kärnten. Es war der unheilvolle Sog eines Systems, das alles Wache verschlingt. So bleibt ein Schatten über dem Abschied eines Großen.