Von Rockefeller zu Ferguson
Der osteuropäische Einwanderer Isaac Reznikoff steht Anfang des 20. Jahrhunderts vor der Einwanderungsbehörde auf Ellis Island vor New York. Den Namen Reznikoff könne er gleich vergessen, damit würden die Amis ihn nie aufnehmen, rät ihm ein gewitzter Kollege. „Sag ihnen, du heißt Rockefeller. Damit kannst du nichts falsch machen.“Als Reznikoff nach stundenlangem Warten an die Reihe kommt, greift er sich auf die Frage nach seinem Namen verzweifelt an die Stirn und platzt auf Jiddisch heraus: „Ich hob fargessen!“Und so begann Isaac Reznikoff sein neues Leben in Amerika als Ichabod Ferguson.
Dieser alte jüdische Witz, mit dem Paul Auster sein 1260 Seiten starkes Opus Magnum „4321“beginnt und beschließt, ist auch eine Parabel über das menschliche Schicksal und die sich endlos gabelnden Wege, denen man sich auf seinem Gang durchs Leben stellen muss. Wie anders verläuft das Leben als Reznikoff, Rockefeller oder Ferguson? Wie sich Robert Frost in seinem Gedicht „Der nicht gegangene Weg“fragt, was wäre, wenn er die andere Abzweigung genommen hätte, so fragt sich Auster, was mit dem Enkel des Einwanderers passiert, wenn sich einige Umstände verschieben.
Und so entwickelt er nebeneinander vier verschiedene Biografien seines Archie Ferguson, nicht alle sympathisch, mitunter wird es minutiös und zäh. Und doch geht die Erzählung vor und zurück, vor und zurück, wie ein Tanz, manchmal Samba, manchmal Foxtrott. Und irgendwann ist man ganz drinnen, von 1947 (auch Austers Geburtsjahr) bis in die 70er-jahre hinein. „Und es heißt auch etwas, in den Seiten eines Buches zu leben“, sagt Ludwig Wittgenstein, ein Held von Auster, ein Held seines Ferguson.