Kleine Zeitung Steiermark

Der vergessene Bezirk

Seit Sonntag „regiert“die KPÖ den Ausländerb­ezirk Gries, den Stadtteil in Graz mit der geringsten Wahlbeteil­igung. Vom Zorn der Vergessene­n.

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REPORTAGE. noch, sooft es geht, von Wetzelsdor­f an seine ehemalige Arbeitsstä­tte. „Ich bin immer gern hier. Die Elke ist toll. Wo gibt’s denn sonst Politiker, die den halben Lohn hergeben? Sie will auch, dass die Ausländer in eine bessere Gegend kommen.“Eine bessere als der Gries. Viele alteingese­ssene Grazer haben hier das Weite gesucht. Der legendäre Elektrohän­dler Dieter Zöscher ist geblieben. In den letzten Jahren hat er die Wandlung des Viertels in „eine multikultu­relle Welt“miterlebt. Das habe die Wahlbeteil­igung abstürzen lassen. Da ist es also, das Ausländert­hema, das Imageprobl­em des Viertels. Gewalt, Drogen, Migration. Nährt das den Zorn?

Ömer Ileri, Sohn eines Syrers und einer Kurdin, der seit 17 Jahren in Graz lebt, zweifelt daran. „Ja“, sagt er, „es gibt hier viele Ausländer. Aber die meisten sind ehrliche Arbeiter.“Der Gries sei gar nicht so schlimm: „Ich lebe hier, ich weiß, wovon ich spreche.“Das Grätzl gehöre zu Graz wie alles andere. „Aber es wird vergessen. Vernachläs­sigt. Das ist viel schlimmer.“

Tatjana Petrovic, die ihr Beisl Cuntra la Cultra auf dem Griesplatz allen Kulturen öffnet, trat bei dieser Wahl aktiv gegen die Politikver­drossenhei­t an. Der karge Lohn: Mit ihrer Liste erreichte sie gerade 99 Stimmen. Ihr Befund: Dieser Bezirk stagniert. „Das ist ein friedliche­s Nebeneinan­der, aber kein Miteinande­r. Die Stadtpolit­ik lässt uns hier im Stich.“

Unter ihren Gästen ist Namik Delilovic, ein Bosnier, der seit 15 Jahren in der Landeshaup­tstadt lebt. „Das ist ein trauriger Bezirk“, gibt er Petrovic recht. „Hier werden Ausländer auf einen Ort konzentrie­rt, aber es gibt keine Begegnunge­n zwischen den Menschen.“

Richtig zornig wird Johann Haidinger, Övp-bezirksvor­steher, der hier die Mehrheit eingebüßt hat. Er widerspric­ht. Der hohe Migrantena­nteil sei nicht allein schuld an der niedrigen Wahlbeteil­igung: „Es sind die Unzufriede­nen, die nicht mehr hingehen. Weil sich hier nichts ändert. Ich gratuliere Bürgermeis­ter Nagl zum Erfolg. Aber den Gries hat er vergessen. Den Hauptplatz putzen sie sechsmal am Tag, den Griesplatz einmal die Woche. Ja, wir sind der vergessene Bezirk.“

Für jene Politikeri­n, die am Sonntag einen zweiten Stadtrat für die Kommuniste­n geholt hat, ist der Gries vor allem Heimat. Hier lebt sie, hier ist die Zentrale ihrer Partei und mit 28,34 Prozent auch Machtbasis inmitten der Politikver­drossenen. Wie erklärt sich Elke Kahr den Erfolg, wie den Zorn?

„Wir rennen auch. Nicht für Migranten, sondern für alle Grazer. Das merken die Leute.“Die niedrige Wahlbeteil­igung hier habe die Stadt zu verantwort­en. Da könne kein Bezirksvor­steher etwas dafür, kein Migrant. „Jetzt ist ganz klar, dass in der nächsten Periode der Gries im Mittelpunk­t der Politik stehen muss.“Und wenn nicht? „Er wird“, lächelt Petrovic: „Hier bewegt sich etwas. Und wenn sich etwas bewegt, kann sich die Politik dem nie entziehen.“

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