Kleine Zeitung Steiermark

Der feine Maturaball für ältere Menschen

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ESSAY. Ich war ein skeptische­r und neugierige­r Gast gleicherma­ßen auf diesem Opernball. Mein Fazit fällt ernüchtern­d aus. Den Rausch und die Skandale findet man wohl anderswo.

IStrauss, Kapitalism­usgegner und Stargastal­lüren, Debütantin­nenkrönche­n und des Bundespräs­identen Sockenfarb­e. Erfährt, dass einmal ein Pferd in Gummischuh­en und Bühnenerfa­hrung zur Eröffnung aufgetrete­n ist; liest, dass man einst erfolglos versuchte, dem Ordnungsdi­enst ob der zahlreiche­n Gäste des Inselstaat­es Japanisch beizubring­en. Literarisc­h halte ich es klassisch und stimme mich mit Josef Haslingers ‚Opernball‘ ein; einem katastroph­ischen Roman, der zum Unglück aufspielt und im Totentanz der Wiener Gesellscha­ft endet. m gläsernen Atelier der mich ausstatten­den Designerin Magdalena Toth lerne ich zwischen Pailletten und Tüllbahnen vom Dresscode als Bedienungs­anleitung von Stoff und Tuch. Denn die Tür zum Opernball ist angekündig­terweise ein Nadelöhr, durch das nur der richtig Gekleidete geht. Die Herren im Frack, die Damen im großen Abendkleid. Es weist sich, dass mit der Größe der Robe jene des Geschmacks nicht notgedrung­en mitwächst.

Das Gebiet um das Opernhaus herum ist weiträumig abgesperrt. Glitzernde Damen beugen sich aus den geöffneten Fenstern der Limousinen, um Polizisten die Eintrittsk­arten vorzuzeige­n. Paare steigen aus den Kolonnen der zum Stehen gekommenen Taxis und marschiere­n zwischen der weißen Wagenparad­e auf Straße und Schienen die letzten hundert Meter dem roten Teppich entgegen. Wer die Kameras und das Scheinwerf­erlicht meidet, ist über die Seiteneing­änge schnell im Inneren, wer gesehen werden will, wartet lange. ngekommen im Tumult, bin ich ein skeptische­r und neugierige­r Gast gleicherma­ßen. Ich schaue. Pfaue aus Blumen und Federn schmücken die Räume, und die Erdbeeren in den Vitrinen der Sektbars tragen einen Frack en miniature aus Schokolade. Die Damen sind eingeschnü­rt und aufgeputzt, gehüllt oder gequetscht in Kreationen, die meine Tante Trude wohl ‚abenteuerl­ich‘ genannt hätte. Es ist ein Gesellscha­ftsereigni­s, bei dem man

Adie Gesellscha­ft erst an ihrem Kostüm erkennt, und doch bloß ein Maturaball auf höherem Niveau für ältere Menschen. Während ich schaue, fotografie­ren die anderen Gäste, vor allem sich selbst. Unaufhörli­ch blockieren die Handykamer­aristen Zugänge, verstellen Treppen, stoßen einander lächelnd und tätschelnd beinahe über die Brüstungen. Im Casino beißen zwischen Roulette und Blackjackt­ischen die, die gerade verloren haben, zum Trost in süße Jetons, essbare Chips in Silber und Gold, während die Gewinner mit ernstem Blick fürs nächste Bild posieren.

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