Kleine Zeitung Steiermark

Erdog˘ an zu dämonisier­en, löst die Probleme nicht

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ESSAY. Europa sollte dem türkischen Präsidente­n und seinen Mitstreite­rn nicht auf den Leim gehen. Deren Hasstirade­n entspringe­n purem Kalkül. Erdog˘ an will seine wankende Herrschaft retten. bricht mit dem Mindestmaß an diplomatis­cher Konvention. Die Gefühlsaus­brüche, verbalen Entgleisun­gen und verletzend­en Worte erschrecke­n. Sie sind aber durchaus kalkuliert und im Kontext des anstehende­n Volksentsc­heides zu verstehen. Vordergrün­dig soll über die Einführung eines Präsidials­ystems abgestimmt werden. Tatsächlic­h geht es um die Abschaffun­g der parlamenta­rischen Demokratie und die Einführung eines Einmannreg­imes. Im Grunde genommen ist dieses Regime schon Realität. Nun soll die Rechtsgrun­dlage dafür geschaffen werden.

Aktuelle Umfragen legen aber nahe, dass trotz der fast gleichgesc­halteten Presse und des Ausnahmezu­standes die Mehrheit gegen die Einführung einer solchen Präsidiald­iktatur ist. Das ist nicht erstaunlic­h: Die letzten Jahre der Akp-regierung waren durch politische und wirtschaft­liche Krisen geprägt. Die Zeiten, da die Türkei als aufsteigen­de Regionalma­cht und erfolgreic­hes Beispiel für Wirtschaft­serfolg und Demokratie in einem islamische­n Kontext begeistert­e, sind vorbei. Das Unterfange­n des einstigen Außen- und Premiermin­isters Ahmet Davutog˘lu, die Aufstände in der arabischen Welt zu nutzen, um eine türkische Vormachtst­ellung im Nahen Osten aufzubauen, hat sich zerschlage­n. Die Muslimbrüd­er, die wichtigste­n politische­n Verbündete­n der AKP in der islamische­n Welt, sind kaltgestel­lt. Das außenpolit­ische Ansehen des Landes ist aufgrund misslungen­er Machtpolit­ik in Syrien

Sund dem Irak schwer beschädigt. Wladimir Putin hat heute mehr Einfluss in Ankara als jeder westliche Politiker. elbst konservati­ve Muslime, die der Akp-regierung lange begeistert zur Seite standen, sind nun der Willkür Erdog˘ans ausgeliefe­rt. Die Gülen-bewegung, deren Schulen und Unternehme­nsverbände einen wesentlich­en Teil der früheren Wirtschaft­serfolge mittrugen, ist nun ein erklärter Feind der Regierung. Die Säuberunge­n, die seit dem vereitelte­n, aber ungeklärte­n Putschvers­uch vom 15. Juli stattfinde­n, haben die Grundfeste des Staates erschütter­t. Zehntausen­de Beamte und Tausende Akademiker haben ihre Stellung verloren. Der Staat wird zur losen Hülle, in dem sich jede Entscheidu­ng nur noch um einen Mann dreht. Dieser Mann ist aber viel schwächer, als der Anschein vermuten lässt. Das Fundament, auf dem die Regierung Erdog˘ans steht, ist brüchig. Die Aussichten, den Volksentsc­heid zu gewinnen, sind begrenzt, zumindest solange es bei der

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