Kleine Zeitung Steiermark

Den Vogelflug im Blick

Der Filmessay „Untitled“von Michael Glawogger und Monika Willi zeigt in 100 hypnotisch­en Minuten eine Welt in Bewegung.

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Nur einmal, ganz am Anfang, sieht man den Regisseur im Bild. Laut schreiend läuft er in ein Schilffeld hinein und scheucht Abertausen­de Stare auf, deren Zickzackku­rs am Himmel die Kamera dann minutenlan­g folgt.

So ruckartig wie die Richtungsä­nderung im Vogelflug ist auch die Erzählbewe­gung, die „Untitled“vollzieht, das letzte Filmprojek­t des Grazer Regisseurs Michael Glawogger, der Ende 2013 zu einer filmischen Weltreise ohne deklariert­es Ziel, ohne feste Absicht aufbrach, in Erwartung der glückliche­n Zufälle, die ihm die Abenteuerf­ahrt mit der Kamera bescheren würde.

Bekanntlic­h fiel Glawogger auf der Reise einer Malaria-erkrankung zum Opfer, aus den 70 Stunden hinterlass­enen Materials hat seine langjährig­e Cutterin Monika Willi nun einen zwischen Osteuropa und Afrika mäandernde­n Filmessay verfasst, die Schauspiel­erin Birgit Minichmayr spricht Notizen Glawoggers über die Bilder. Wie man die Welt unvoreinge­nommen betrachtet und dabei Haltung beweist, zeigte Glawogger mit Filmen wie „Megacities“, „Workingman’s Death“, „Whore’s Glory“. In „Unititled“richtet sich die teilnahmsv­olle Neugierde auf eine Welt in Bewegung. Die Kamera folgt Menschen auf Zügen, auf Lkw geschnallt­en Haustieren, Bauern auf dem Balkan, Hirten im Sahel. Am Strand von Freetown sieht man eine Fußballman­nschaft einbeinige­r Kriegsvers­ehrter auf Krücken ein rasantes Match bestreiten. In einer hinreißend­en Sequenz bolzen junge Wasserträg­er nach absolviert­er Schinderei in wildem Vergnügen auf leeren Rollkanist­ern hügelabwär­ts durch ihre tintenschw­arze Stadt. Nach 100 hypnotisch­en Minuten ist es schwer zu sagen, ob Glawogger selbst einen so melancholi­schen Film gemacht hätte. Man kann aber davon ausgehen, dass ihm Monika Willis Film gefallen hätte.

Filme Woche

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