Kleine Zeitung Steiermark

Ehrfürchti­ge Kühe in Halbandach­t

Wundersame­s und Wunderbare­s beim Poesie-festival Literasee. Inklusive einer moralische­n Obstkisten­predigt.

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REPORTAGE.

noch nie mit einem Gletscher zu Abend gegessen“, staunt Jan Wagner, der den Erzählreig­en diesmal eröffnete. Der in Berlin lebende Autor, der als erster Lyriker 2015 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, erachtet das Gedicht als literarisc­he Königsdisz­iplin, weigert sich daher auch konsequent, Romane zu schreiben, schüttelt jedoch grandiose Prosatexte scheinbar ganz locker aus den Schreibärm­el. Dennoch tut er seine weisen literarisc­hen Essays mit der bescheiden­en Feststellu­ng ab: „Ach, darin bin ich doch nur ein Amateur.“Weit Vor allem aber gilt: Jan Wagner schenkt den Glauben an die Lyrik wieder, durch ausgefeilt­e, präzise und verblüffen­de Gedichte, die sich, ungeschrie­ben, zu einer schier endlosen Zahl von möglichen Geschichte­n fortpflanz­en. Die „moralische Obstkisten­predigt“, so eine der vielen famosen Wortkreati­onen von Jan Wagner für beliebig Hin- und Weggereimt­es, ist ihm ein ziemlicher Dorn im Auge. Er setzt seine über und über mit Inspiratio­nen gefüllte Schreibfed­er dagegen. „Es reicht eben nicht, auf einer Wiese zu stehen und zu denken oder zu schreiben, wie schön der Mond wieder ist“, sagt Wagner über das viel gepriesene, oft saftlose „lyrische Gefühl“.

ist der Rahmen, den die Natur hier im Ausseerlan­d bei diesem literarisc­hen Gipfeltref­fen gespannt hat. Und der Mensch gilt als ordentlich­es Mitglied der Natur, nicht mehr und nicht weniger.

Wie gewaltsam Natur und Mensch zuweilen sein können, schildert Franzobel in seinem Abenteuerr­oman „Das Floß der Medusa“, Walter Grond vergefehlt. knüpft in „Drei Lieben“die Turbulenze­n der Russischen Revolution mit einer privaten Odyssee.

„Ich möchte stets das Jetzt einfangen können“, so lautet die Intention von Alissa Walser, die in ihrem Erzählband „Eindeutige­r Versuch einer Verführung“in virtuoser Vielschich­tigkeit die hohe Kunst der Prosa-miniaturen zu rarer Vollendung bringt. Mitunter gleichen ihre punkt- und strichgena­uen Spurensuch­en über verfehlte oder falsch gelebte Leben Zen-koans oder Versuchen, Augenblick­e festzuhalt­en, „um daraus ein Bild der Welt und der Gegenwart zu gewinnen“. Stets mit einem „Ja, aber“versehen. Hier wandelt sich Literasee zu einem Literaseh. Ein poetischbi­ldhaftes Naturereig­nis einer seelischen Seismograp­hin? Aber ja.

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