Aufruf zum Kampf gegen Extremismus
Ein erschöpfter Papst predigte in Kairo in einem aus Sicherheitsgründen halb leeren Stadion Respekt und Nächstenliebe.
Mirna Essameldin strahlt. „Wir lieben diesen Papst“, sagte die 27-Jährige, die am Besucher aus Rom seine bescheidene, menschliche Ausstrahlung schätzt. „Mit ihm beten wir für Frieden im Nahen Osten, vor allem in Syrien, aber auch in Ägypten.“Die Büroangestellte wuchs in al-minya auf, seit Jahren die Unruheprovinz Ägyptens, wenn es ums Verhältnis von Christen und Muslimen geht.
Mehr als 50 Kirchen, Sozialstationen, Wohnhäuser und Schulen gingen hier 2013 in Flammen auf, als Präsident Abdel Fattah al-sisi den Muslimbruderpräsidenten Mohammed Mursi mit Militärgewalt absetzte. Den Auftritt von Franziskus an der al-azhar-universität am Vortag hat Mirna Essameldin im Fernsehen gesehen, als er „jeglicher Form von Gewalt, Rache und Hass im Namen Gottes“ein entschiedenes Nein entgegensetzte. „Die klaren Worte haben uns gutgetan“, sagt die junge Koptin.
im „Stadion der Luftwaffe“hatte das katholische Oberhaupt dann deutlich mehr Mühe, seiner christlichen Botschaft Gehör zu verschaffen. „Der Friede sei mit euch“– kaum hatte Franziskus die etwa 10.000 Gläubigen in der halb gefüllten Arena begrüßt, als schon der nächste Apache-kampfhubschrauber über die Köpfe ratterte. Teile der Predigt wurden vom Rotorenlärm gestört, alle drei Minuten ertönte.
So war von allen Open-airgottesdiensten, die Päpste in den letzten beiden Jahrzehnten im Nahen Osten zelebrierten, die Feier von Franziskus in Kairo die angespannteste. Das Sportgelände vor den Toren der Hauptstadt glich einer Militärfestung. Auf allen Ausfallstraßen stand alle paar Meter ein Polizeiposten. Die Führung am Nil wollte nicht riskieren, dass nach den Selbstmordattentaten von Tanta und Alexandria erneut etwas passiert. der
griffen die Sicherheitskräfte zu beispiellos drastischen Schritten. „Wir haben über tausend Handys abgenommen, wir können nicht mehr“, stöhnten an den Zugangstoren die koptischen Pfadfinder. Jeder, der den Papst sehen wollte, musste vorher sein Telefon abgeben. Selbst beim Besuch des Us-präsidenten Barack Obama 2009 in Kairo hatte es so etwas nicht gegeben. Es türmten sich Pappkartons, alle randvoll mit Smartphones. Erstmals gab es für die Gläubigen kein Erinnerungsfoto an den populären Gast. Franziskus schien die gedämpfte Stimmung zu spüren.
Schon beim Einzug in die Sportarena wirkte er erschöpft und etwas gequält, seine Stimme bei der Liturgie klang brüchig und müde. Zwei Dutzend Sicherheitskräfte schirmten den Von unserem Korrespondenten 80-Jährigen ab. Eisengitter vor den Tribünen hielten die jubelnden Menschen auf Distanz, sodass der Funke zwischen den von überall her angereisten Christen und ihrem sonst so kontaktfreudigen vatikanischen Oberhaupt nicht richtig überspringen wollte. Auch die Stadionrunde mit dem weißen Elektrocar wurde kurzerhand halbiert, damit der Pontifex nicht minutenlang an leeren Rängen vorbeifahren musste. Über 10.000 Plätze blieben unbesetzt, obwohl Gläubige im ganzen Land, die sich um Karten beworben hatten, leer ausgingen. In seiner Predigt warb Franziskus für eine „Kultur des Dialogs, des Respekts und der Brüderlichkeit“. Alle Frömmigkeit nutze nichts, wenn sie nicht von tiefem Glauben und Nächstenliebe inspiriert und belebt werde. Der einzige erlaubte Extremismus für Gläubige sei die Nächstenliebe, sagte er, der am Abend nach Rom zurückflog. Jegliche andere Art von Extremismus „kommt nicht von Gott und gefällt ihm nicht“.
rief er drei Wochen nach den Terroranschlägen mit 46 Toten zur Feindesliebe auf. Dies sei die Stärke der Christen und ihr Schatz. „Ich fahre froh nach Hause“, sagte Makarios Michel, der seit 28 Jahren als koptischer Pfarrer in Assiut arbeitet. Probleme zwischen Christen und salafistischen Hardlinern gibt es auch dort. Er habe jedoch auch Freunde unter Muslimen, erzählt der 56-Jährige. Und die beneiden mich, „dass ich einen Papa wie Franziskus habe“.