Das Herz, diese heiße, kalte Ruine
Gefühl oder Verstand? Vincenzo Bellinis „Norma“an der Grazer Oper berührt als ewig gültige Schicksalsparabel. Hausdebütantin Irina Churilova überzeugt in der Titelrolle.
die schon zum Auftakt der Saison 2015/16 in Franz Schrekers „Der ferne Klang“eine bemerkenswerte Arbeit abgeliefert hat, transponiert die Geschichte aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert – auch mithilfe der Kostümbildnerin Adriane Westerbarkey – ins Alltägliche. Einen eindrucksvollen Beitrag zu dieser allgemeingültigen Deutung der Mechanismen von Macht, Bedrohung und Radikalisierung liefert Martina Segnas Bühne, die samt geschickt eingesetzten Schiebeelementen vieles ist: kalte Kriegsruine und ausgebeinte Fabrikhalle, Zufluchtsort und Altarraum, Verhörraum und Richtplatz.
Unter den Hauptrollen gab es zwei Hausdebüts: Die aus Nowosibirsk stammende Sopranistin Irina Churilova meisterte die heikle Rolle der Norma von der sinnlichen Anrufung der Mondgöttin in „Casta diva“bis zu den aufgekratzten Duetten mit ihrer Konkurrentin mit schön gerundetem Sopran, darstellerisch gäbe es allerdings noch etwas Luft nach oben. Und den Pollione, etwas seltsam wie ein Reserve-kim-jong-un gekleidet, sang der Kasache Medet Chotabaev mit kernigem Tenor, der sich in der Mittellage am wohlsten fühlt. So souverän wie berührend gestaltete Dshamilja Kaiser die (ver)zweifelnde Adalgisa. Auch das restliche Ensemble um Tigran Martirossian als Oberdruiden Oroveso zeigte wie der hier in Tableaus, da in Massenbewegungen präsente Chor durchwegs Stärken.
Dirigent Robin Engelen musste mit dem Orchester und den Sängern anfangs ein paar Wackelkontakte verzeichnen. Der erste Kapellmeister, der sich mit Marcus Merkel am Pult abwechseln wird, fand in der diffizilen Partitur Bellinis aber nach und nach – und vor allem in lyrischen Passagen – samt dem auf der Bühne und in den Rängen agierenden Bläserensemble zu einem Guss. Großer Applaus für eine Produktion, die als ewig gültige Schicksalsparabel bewegt.