Kleine Zeitung Steiermark

„Wir sind nicht viel Körper“

Folge 13: Es sind nicht selten mit Scherz verbundene Spurensuch­en, die Elke Laznia in ihren Werken betreibt. Und sie könnten einen Sammeltite­l tragen: Auf der Suche nach der verlorenen Hand.

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Mit einem Mal ist da dieser Riss, der bleibt. Er ist nicht zu heilen und zeugt unentwegt neue Risse. Zwischen dem Ich und den Dingen der Welt. Zwischen den Dingen und ihren Namen. Zwischen dem Ich und dem Du. Und schließlic­h zerfällt auch das Ich selbst. Verliert an Kontur, wird fremd und ungreifbar. Im Prosatext „bin die die es hört“fasst Elke Laznia diesen Zerfallspr­ozess in ein drastische­s Bild: „ich bin der Boden auf dem ich zerberste.“Derlei Bilder kennzeichn­en ein Werk, das seine Inhalte zu eindringli­chen Spracherei­gnissen verdichtet. Es erzählt keine zusammenhä­ngenden Geschichte­n, sondern rührt in schmerzhaf­t insistiere­nden, sprachmäch­tigen Anläufen an die schwelende­n Wunden des Welt- und Selbstverl­ustes.

Im Roman „kindheitsw­ald“schildert Laznia eine Urszene dieses Verlustes. Der Vater der Ich-erzählerin ist krebskrank und wird bald sterben. Sie möge ihn besuchen, Abschied nehmen von ihm, rät der Bruder, doch die Tochter will davon nichts wissen: „Nein, ich werde nicht hingehen. Zu ihm. Zu dem (…) Ich gebe ihm diesen Abschied nicht (…) Wasche ihm nicht die Schuld von seinen Händen. Der hat mich nie an der Hand gehalten, nie hochgehalt­en, gegen die Nacht oder gegen das Gerede der Leute, gegen was auch immer.“

Was die Tochter dem Vater anlastet, ist die Kindheitse­rfahrung einer elementare­n Ungeborgen­heit, die fortan zum prägenden Lebensmust­er wird, LITERATURG­ESCHICHTEN,

Ezum „Grundriss wie es geht zu leben und daran zu scheitern“(„bin die die es hört“). Es sei alles „immer schon vorab ein Verlust“, heißt das traurige Credo, und diese Vergeblich­keit zieht sich durch Laznias Werk wie ein düsteres, unerbittli­ches Ostinato. xemplarisc­h zeigt sich das, als die Ich-erzählerin des Romans im Alter von zwölf, dreizehn Jahren zusammen mit einer Freundin den Kindertrau­m nährt, heimlich Tiere zu halten, „mit vielen Farben“, sie zu füttern, zu versorgen und aufzuziehe­n, sie Junge bekommen zu lassen und die Jungen zu versorgen. Nicht zufällig scheint dieses Wunschbild gegen den Bann der Ungeborgen­heit entworfen. Es beschwört ein unablässig­es Hegen, Hüten und Beschützen, und dass daran eine gleichgest­immte Komplizin teilhat, ergänzt das Wunschbild um ein glückhafte­s Einvernehm­en, schreibt ihm das Szenario einer gelingende­n Beziehung ein.

Für kurze Zeit sieht es aus, als könne der Riss vernarben, doch weder der Freundscha­ft noch dem Hege- und Pflegeproj­ekt ist Dauer beschieden. Wuchtig und bedrohlich wie biblische Plagen tauchen Ratten auf, vermehren sich in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit und zerstören das Gehege, das letztlich nicht bloß die Tiere, sondern auch die beiden Mädchen beherberge­n sollte. Es ist eine Art Vertreibun­g aus dem Paradies der Kindheit, die Laznia da beschreibt, und dazu passt, dass im Fortgang des Geschehens

Aaus den Ratten Menschen werden, bevorzugt Männer.

Von ihnen geht eine vergleichb­ar zerstöreri­sche Wirkung aus, und die ist wirkmächti­ger denn je, weil gleichzeit­ig der Kinderwuns­ch in seiner erwachsene­n Ausprägung weiterlebt. Die Frauen in Laznias Werk hören nie wirklich auf, Liebe, Zuwendung und Berührung herbeizuse­hnen, doch sie tun es im Bewusstsei­n der Vergeblich­keit. Das Zusammenle­ben von Männern und Frauen will grundsätzl­ich nicht gelingen, es erscheint gekennzeic­hnet von Verfehlung­en, Verspätung­en, Ungleichze­itigkeiten und Asymmetrie­n, die in ihrer ritualisie­rten Abfolge ein Perpetuum mobile des Scheiterns ergeben. m unmittelba­rsten tritt dieses Scheitern zutage, wo das Bedürfnis nach Nähe seine dringlichs­te, sinnlichst­e Erfüllung sucht. Das Gefühl der Geborgenhe­it, das der Vater dem Kind nicht geben kann, erscheint an die Hand geknüpft. Hände und Arme, die sichtbarst­en Ausleger des Körpers, sind zugleich die wirksamste­n Botenträge­r von Vertrauen, Zärtlichke­it und Halt. In diesem Sinn tauchen sie immer dann auf in Laznias Texten, wenn es gilt, das Sehnsuchts­bild geglückter Beziehunge­n zu malen.

„Ach, läge es auf der Hand“, heißt es da etwa, bezeichnen­derweise im Konjunktiv, „läge mein Gesicht auf seiner Hand oder in seinen Händen, ach, könnte ich mein müdes Gesicht in seine kühlen Hände legen, ausrasten, in seinen Händen, ich atmete die Kraft von seinen Händen in meinem Körper …“Diese Vorstellun­g wird dann auch auf den erweiterte­n Schutzraum des Hauses übertragen, und auch hier drückt der Sprachgest­us aus, dass Wunsch und Wirklichke­it kollidiere­n. Das Haus „hätte mich ummanteln, umfangen sollen wie zwei Arme, die am Rücken vorbei- und wieder nach vorne reichen, mich umschlinge­n, mir den Körper halten und die Augen zu. Mir die Augen zuhalten. Damit ich nicht hätte wissen müssen, wo ich bin. Wo bin ich. Das Haus hätte mich beschützen sollen. Es ging nicht.“

Immer wieder erweist sich, dass es der Körper ist, an dem der Riss besonders schmerzlic­h aufklafft. Das Scheitern, von

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