Nonnenmacher
Von unserem Korrespondenten auf die Anwürfe. Freilich hatte er in den zwei Jahren seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden auch reichlich Gelegenheit, sich ein dickes Fell zuzulegen. Ein ganzes Meer an Gehässigkeit ergießt sich täglich über ihn. Außenminister Boris Johnson nannte Corbyn jüngst einen „Schafskopf “.
Aber auch traditionelle Labour-anhänger fragen, ob Corbyn zur Führung des Landes taugt. Denn der lebenslange Rebell von der Linken hat bis zu Sommerbeginn wenig Geschick erkennen lassen. Bei der wöchentlichen Fragestunde „Prime Minister’s Question Time“fehlte es ihm an Nachdruck, Spontaneität und Humor. Seine Ambivalenz in puncto Brexit hat ihm sehr geschadet. Pro-europäer haben ihm das nicht vergeben können.
Als May vor sechs Wochen vorgezogene Wahlen ausrief, stöhnten Labour-abgeordnete und Gewerkschaftsführer gleichermaßen, jetzt könne man sich ja gleich auf eine Niederlage einstellen. „Sobald von ihm die Rede ist, hören die Leute auf, uns zu wählen“, schimpfte der Abgeordnete Frank Field.
sagten die Meinungsumfragen Labour nicht viel mehr als ein Viertel der Stimmen voraus. Verloren in „rotem Nebel“, höhnte Rupert Murdochs konservative „Times“, ziehe die Labour Party ins politische Nirgendwo. Doch seither scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein. Nicht nur haben die Terroranschläge alles durcheinandergewirbelt. Auf erstaunliche Weise hat Corbyn im Wahlkampf plötzlich Fuß gefasst. In manchen Umfragen hat seine Partei, die im April noch 20 Prozentpunkte hinter den Tories zurücklag, jetzt, kurz vorm Wahltag, fast aufgeschlossen.
Mit der ihm eigenen Unbeirrbarkeit hat der 68-Jährige eine Kampagne geführt. Vor allem hat Corbyn ein Wahlprogramm vorgelegt, das weithin Interesse gefunden hat. Zu den zentralen Punkten gehören die Gründung einer staatlichen Investitionslabour-chef bank, Hilfe für die darbenden öffentlichen Dienste, eine leichte Anhebung der Steuern für die Reichsten, die Renationalisierung von Post und Eisenbahnen sowie die Abschaffung der Studiengebühren im Land.
„Ich habe es satt, dass wir eine solche Ungleichheit in unserem Land haben“, hat Corbyn erklärt. Beim Brexit, den er heimlich befürwortete, hat er eine „weiche Landung“gelobt. Vor allem ist es ihm gelungen, durch nüchternes Auftreten Sympathien zu gewinnen. Seine Shorts, die überlangen Joppen, den Fahrradhelm lässt er daheim. Noch immer nimmt er sich linkisch aus. Aber in kurzer Zeit hat er viel gelernt. Und anders als May scheut er auch die Begegnung mit Wählern nicht.
Die meisten Beobachter glauben trotzdem nicht so recht, dass er es am Donnerstag schaffen könnte, May auszuhebeln. Corbyn, der daheim in Londonislington sein Schrebergärtchen pflegt und seine eigene Marmelade aufkocht, während er vom Sozialismus träumt, ist ihnen einfach nicht „der rechte Mann“für raue Zeiten. Aber Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.