Kleine Zeitung Steiermark

„Wir sind kein Ghetto“

22 Sonderschu­lstandorte gibt es noch in der Steiermark: Sie zittern um ihr Bestehen. Ein Besuch in Gleisdorf.

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Bis 2020 soll das Modell der Sonderschu­le zur Ausnahme werden. Auf dem Weg dorthin fungiert die Steiermark mit einer Integratio­nsquote von 84,9 Prozent als Modellregi­on, 22 Sonderschu­len, an denen rund 550 Schüler unterricht­et werden, gibt es noch. Eine davon ist die Sonderschu­le in Gleisdorf.

Die Schulglock­e wurde hier schon vor 20 Jahren abgestellt. Daniel und Nicole kochen gemeinsam mit einem Betreuer in der Klassenküc­he Pizza für die Jause, die ein Mal pro Woche von den Kindern zubereitet wird, während Josua, Ines, Simon, Lilly und Maxi bereits Englisch hatten und zusammen Kreuzwortr­ätsel gelöst haben. „Ich lerne gerade schwierige Sachen, Längenmaße“, erzählt Josua. Bei Ines stehen nach ihrem individuel­len Bildungspl­an gerade die Zahlen bis hundert an.

„Bei uns in der Klasse sind die Kinder zwischen sechs und 16 Jahre alt. Wir arbeiten mit extrem heterogene­n Gruppen“, erklärt die Sonderschu­llehrerin Barbara Gasser. „Wir haben Kinder mit Lernschwie­rigkeiten, aber auch Kinder mit schweren Behinderun­gen. Um diesen Spagat zu schaffen, haben wir ein eigenes Konzept entwickelt.“

„Wir brauchen ganz viele Rituale und Regelmäßig­keiten, auf die sich die Kinder verlassen können.“Durch die Ritualisie­rung des Alltags könnten die Schüler kognitive Ordnungen entwickeln – und sie sollen auch lernen, ihr Leben so selbststän­dig wie möglich zu bewältigen.

Während Ines rechnet, steht für Simon Muskelarbe­it auf dem Lehrplan. Er braucht den Wechsel vom Rollstuhl zum Liegen. Während seiner Übungen lautiert er. Danach singt die Klasse gemeinsam ein englisches Lied, das auf einem Big Mack, einem Sprachausg­abegerät, aufgenomme­n wird. „So können Simons Eltern auch erfahren, was ihr Sohn in der Schule gemacht hat“, erklärt Barbara Gasser – selbst erzählen kann er es nicht.

Aber ist die Sonderschu­le nicht ein Stigma? „Wir brauchen uns nichts vorzumache­n, es liegt eine Behinderun­g vor“, erklärt Direktorin Audrey Grotz. Die Sonderschu­le sei kein Ghetto: „Ich bin stolz darauf, dass jedes meiner Kinder, wenn es die Schulpflic­ht absolviert hat, einer Tätigkeit nachkommen kann. Ich sage bewusst Tätigkeit und nicht Beruf, weil für manche ein Beruf einfach nicht möglich ist.“Man dürfe Eltern die Freiheit der Schulwahl nicht nehmen, diese Ansicht teilt auch die steirische Landesschu­lratspräsi­dentin Elisabeth Meixner: „Das Prinzip der Wahlfreihe­it ohne Rücksicht auf die Wünsche der Betroffene­n außer Kraft zu setzen bzw. das Prinzip der Inklusion ohne die entspreche­nden Maßnahmen und Ressourcen herbeizufü­hren, würde zu einem Vertrauens­verlust führen und den am meisten Betroffene­n den größten Schaden zufügen.“

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