Europa fasst wieder Tritt
Zuversichtlich wie selten zeigen sich die Eu-staatenlenker beim Gipfel in Brüssel. Macrons Sieg in Frankreich sorgt für frischen Wind, bei manchen aber auch für Irritation. Sebastian Kurz trifft Angela Merkel.
Es ist, als ginge ein Ruck durch Europa: Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist vielerorts bis auf Weiteres gestoppt. In Frankreich ist ein leidenschaftlicher Pro-europäer zum Präsidenten gewählt worden, der Brexit und das Wirken Donald Trumps schweißen die verbleibenden Mitglieder der Union zusammen. Plötzlich wird über große Reformen nachgedacht, die vor einem halben Jahr noch undenkbar schienen. In allen Ländern wächst die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit sinkt.
In dieser Atmosphäre des Aufbruchs kamen am Donnerstag in Brüssel die Eu-staatsund Regierungschefs zu ihrem letzten Gipfel vor der Sommerpause zusammen. „Ich habe noch nie so ein starkes Gefühl gehabt, dass die Dinge sich in eine bessere Richtung entwickeln. Aber wir dürfen nicht selbstgefällig sein“, meinte Euratspräsident Donald Tusk. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach der ersten Gesprächsrunde: „Heute hat der Optimismus überwogen.“
Der französische Staatschef Emmanuel Macron absolvierte seinen ersten Brüsseler Gipfel und betonte, es gehe mehr als je zuvor darum, ein Europa zu schaffen, „das seine Bürger schützt“. Der österreichische Kanzler Christian Kern sagte, dass plötzlich wieder Themen in Europa vorankämen, bei de- es lange keine Bewegung gab. „Und das Symbol dafür ist natürlich der neue französische Präsident Emmanuel Macron.“
Strittige Themen gibt es dennoch zuhauf, allen voran die Migration. „Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!“, hatte Macron den Osteuropäern im Gipfelvorfeld in der Flüchtlingskrise mangelnde Solidarität vorgeworfen und wütende Reaktionen provoziert. „Der neue französische Präsident ist ein Frischling“, sagte Ungarns Premier Viktor Orbán. „Sein Einstand war wenig ermutigend.“
indes davor, in der Migrationsfrage auf schnelle Antworten zu setzen. „Jeder, der hier mit Patentrezepten agiert, führt die Leute hinters Licht“, sagte er. Der Politiker, auf den das gemünzt war, Außenminister Sebastian Kurz, weilte da ebenfalls in Brüssel und warb vor der Europäischen Volkspartei (EVP) unverdrossen für eine Schließung der Mittelmeerroute. „Die Rettung im Mittelmeer darf nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein“, sagte Kurz, der die von ihm für ihre Flüchtlingspolitik massiv kritisierte deutsche Kanzlerin Angela Merkel zum Vieraugengespräch traf. Der Ton sei amikal gewesen, verlautete danach.
Deutlich voran geht es in Europa vor allem bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik. Die Mitgliedsstaaten beschlossen, binnen drei Monaten konkrete Projekte zu benennen, bei denen ihre Armeen enger zusammenrücken können. Es geht zum Beispiel um gemeinsame Kampfverbände oder ein europäisches Sanitätskorps. Außerdem soll ein gemeinsamer Fonds aufgelegt werden, der Forschung im Bereich der Rüstungsindustrie finanziert. Ob und wie stark sich die Mitgliedsstaaten bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik einbringen, ist ihnen selbst überlassen. Bisher standen die Briten bei diesem Thema auf der Bremse. Da sie die EU verlassen möchten, können die anderen Staaten hier nun voranschreiten.
Mit der Verteidigungsunion wollen sich die Europäer unabhängiger von den USA machen, ohne die Nato zu schwächen. Das ist auch eine Antwort auf die Unberechenbarkeit, die die Amerikaner seit Trumps Amtsantritt an den Tag legen. Im Bereich der inneren Sicherheit wollen die Eu-staaten künftig stärker gegen Terrorpropagannen