Faustischer Pakt mit Kündigungsklausel
Gibt man „ÖVP“in die Suchmaschine ein, dann fragt sie kumpelhaft zurück: „Möchtest Du Sebastian Kurz unterstützen?“Die Parteikader stimmen freudig zu. Zum heutigen Parteitag: Protokoll einer Unterwerfung.
Heute ist also der große Tag. Der junge Mann, auf den die Bundesschwarzen so viele Hoffnungen richten, soll unter dem Applaus von gut 1000 Delegierten im Linzer Design Center den unmöglichsten Job der Republik übernehmen.
Keinen Aufwand hat man gescheut, um für Sebastian Kurz den Weg auf den Schleuderthron als Övp-obmann zu ebnen: Der Tagungsort wurde fein herausgeputzt, die Parteifarbe wurde auf Türkis geändert, das alte Logo verschwand in der Schublade. Das Dickicht parteiinterner Mitbestimmung wurde gerodet. Die Funktionäre ergeben sich per neuem Parteistatut in ihr Schicksal.
Die Unterwerfung erfolgt auf freiwilliger Basis – Romanautor Michel Houellebecq könnte seine Freude daran haben. Mit widerborstigen Störfeuern am Rednerpult ist nicht zu rechnen. Wladimir Klitschko, der als Ehrengast geladene frühere Box-champion, wird nicht einspur greifen müssen. Was nicht heißt, dass es nicht doch mannigfaltige Mentalreservationen in den Köpfen der Königsmacher gibt. Mit teils euphorischer, teils unterkühlter Neugier sehen die Parteikader den neuen Zeiten entgegen.
Schon in den wenigen Wochen seit dem Rücktritt Reinhold Mitterlehners ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Die alte Staatsgründungspartei ÖVP, die seit 30 Jahren ohne Pause in der Regierung sitzt und sich noch immer als Eckpfeiler der politischen Republik begreift, stürzt sich staunend in jenes Abenteuer, das Erhard Busek schon in den 1990er-jahren forderte: die Neugründung der Partei.
Doch wohin genau geht diese Reise? Jünger, urbaner und moderner soll die Politik werden, losgelöst von Fesseln und Denkverboten – so tönt es aus der Parteizentrale. Das hat man so ähnlich schon öfter gehört, wenn es galt, einen Personentausch an der Parteispitze sachpolitisch zu grundieren.
Kurz wird in diesen Tagen nicht müde, einen neuen Stil in der Politik zu versprechen. Bisher ist der von ihm orchestrierte Zeitenbruch vor allem mit dem fast vollständigen Austausch des Führungspersonals verbunden. Und mit einer beachtlichen, perfekt geölten Werbemaschinerie.
Gibt man etwa „ÖVP“in die Suchmaschine ein, dann fragt sie kumpelhaft zurück: „Möchtest Du Sebastian Kurz unterstützen?“Auf der Homepage, die im Hinblick auf das heutige Hochamt schon seit Donnerstag runderneuert wird, ist von „Kurz und seinem Team“die
ORede, nicht von Parteigremien und Bünden. Wer hinter die Fassade blicken will, muss sich erst einmal durch gefällige Fotos und knackige Sprüche klicken.
Der Partei-heroe gibt sich gerne den liberalen Anstrich, verknüpft ihn aber mit mehrheitlich konservativen Signalen. Forderungen nach Schließung der Mittelmeerroute für Flüchtlinge und der islamischen Kindergärten in Wien schärfen sein Hardliner-profil. Den populistischen Spö-lockrufen zur Billigung der Homoehe hat sich Kurz bisher verweigert, wenn auch mit einiger argumentativer Not.
In der Programmdebatte wahrt man die äußere Form: Am Vormittag soll es heute zunächst Arbeitsgruppen zu den Themen Standort, Sicherheit und Soziales geben und dann erst die Kür von Kurz. Aber wer wird dazwischen die Papiere lesen? Und vor allem: Wer hat überhaupt noch eine Wahl? Die Weichen sind längst gestellt. Mit Blick auf den Wahltermin 15. Oktober hat man einen Point of no Return hinter sich gelassen: Kurz oder gar nichts, das ist die Devise. hnehin wird es schwer, jene Euphorie, auf die man sich quasi parteiamtlich verständigt hat, in Zahlen zu gießen. Denn Kurz-vorgänger Mitterlehner wurde 2014 mit dem Rekordwert von 99,1 Prozent Zustimmung als ÖVP-CHEF bestätigt. Diese Marke ist nicht nur arithmetisch schwer zu knacken. Sie zeigt auch, dass selbst die fast geschlossene Zustimmung nicht mehr ist als eine im Sand. Eine Momentaufnahme, getragen nur von der Stimmung im Saal, aber jederzeit in Gefahr, schon morgen vom ersten Gegenwind verblasen zu werden.
Kurz und die ÖVP – das gruppendynamische Experiment ist auch für Kreise außerhalb der Volkspartei von Interesse. Es wird uns neue Erkenntnisse liefern über das Verhältnis zwischen Anführer und Gruppe, zwischen Gefolgschaft und Selbstbestimmung in einer demokratisch verfassten Struktur. Denn für die kleinen Funktionäre in der Fläche geht es nicht nur um die Wiedergeburt einer schlagkräftigen Gesamtpartei, sondern auch um ihr eigenes Überleben im Strom der Zeiten. Die Formel, dass sich Bedeutung und Macht eines lokalen