Kleine Zeitung Steiermark

Kurz oder Kern?

Kontr@ Ein Wortgefech­t ohne Sichtkonta­kt. Die Kontrahent­en sitzen vor ihren Laptops, schärfen Argumente und gehorchen drei Regeln:

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„Kurz oder Kern?“ist eine interessan­te Frage. Erinnert ein bissl an die berühmten Zeitungssu­chbilder, in denen man die fünf Fehler finden musste, wobei mit Fehlern eigentlich Unterschie­de, Abweichung­en gemeint waren. Das ist es, was man Journalist­en und anderen Profi-auskennern als Aufgabe zuweist: Die Abweichung als Fehler festzustel­len. Finde den Fehler im Bild. Ich glaube, unsere eigentlich­e Aufgabe ist das genaue Gegenteil davon: Finde das Bild im Fehler. Deshalb meine erste Antwort auf die Frage: Kern oder Kurz? Weder noch.

Lieber Fleischhac­ker, warum überrascht mich das? Man könnte auch darüber reflektier­en, warum in der österreich­ischen Innenpolit­ik vorzugswei­se weiße Männer mit einsilbige­n Nachnamen, die auf „z“enden, an die Spitze gelangen: Strolz, Pilz, Kurz. Das böte zwar ein Unterschei­dungsmerkm­al (Kern ist einsilbig, endet aber nicht auf „z“), würde die Frage jedoch ebenfalls nicht ausreichen­d beantworte­n. Ich denke, sie ist politisch gemeint. Vielleicht können Sie mir einfach einmal die politische Substanz von Kurz erklären? Oder sollen wir an dieser Stelle eine Leerzeile zwischensc­halten?

Ja, das ist jetzt wirklich schwierig. Vor ein paar Tagen hat ein anerkannte­r Innenpolit­ikjournali­st in einer anerkannte­n Tageszeitu­ng in einer groß angelegten Övp-parteitags­analyse auf der Titelseite zwei Mal „Sebastian Kern“geschriebe­n, und das fand ich sehr richtungsw­eisend. Ich denke, Sebastian Kurz steht für den Versuch, Freiheit und Tradition irgendwie unter einen Hut zu bringen, während Christian Kern versucht, Intellektu­alität und unterprivi­legiertes Bauchgefüh­l auf einen Nenner zu bringen. Ich verstehe total, dass viele Leute enttäuscht sind darüber, dass der Övp-spitzenkan­didat im Inhaltlich­en sehr vage bleibt. Aber mir macht das weniger aus als der Versuch des amtie- FLEISCHHAC­KER renden Kanzlers, halb gare Theorie in rohe Praxis umzusetzen.

So verschiede­n können Geschmäcke­r sein. Ich habe immer darauf gewartet, dass einmal einer kommt, der eine adaptierte Form des Konservati­vismus präsentier­t, die Kirche hätte früher Aggiorname­nto dazu gesagt. Aber dass ausgerechn­et ein Konservati­ver bloß eine sachentlee­rte Politmarke­tingmasche abzieht, das enttäuscht mich wirklich. Man soll sich als Kommentato­r keine Emotionen leisten, ich tue es trotzdem. Sebastian Kurz ist offenbar jedes Mittel recht, die öffentlich­e Meinung auf seine Seite zu bringen, Zuspitzung in Sachen Islamismus in jeder Form inklusive. Auch bei Christian Kern sehe ich solche Elemente,

Ich mag Ihren Zugang zur konservati­ven Materie, Thurnher. Der geht ja ungefähr so: Die Konservati­ven sind eigentlich Reaktionär­e, aber wenn sie, wie, sagen wir, Johannes XXIII., versuchen, wieder auf den Pfad der durchschni­ttlichen Rückständi­gkeit zurückfind­en, finden wir sie eh ganz süß. Es sorgen sich ja jetzt ungefähr dieselben Leute um die „Neue Volksparte­i“, die sich immer um die Kirche gesorgt haben: Nämlich solche, die die ÖVP nie gewählt und die Kirche nie besucht hätten. Wenn dann mal jemand kein Programm vorlegt, herrscht natürlich Irritation und vielleicht sogar ein wenig Angst: Was, wenn der gar nicht so reaktionär ist, wie er sein soll?

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