Kleine Zeitung Steiermark

Stille und Schrei

Folge 14: Florjan Lipusˇ ist ein Literaturr­ebell von Weltgeltun­g. Geprägt von Kindheit an durch düstere Erfahrunge­n, gelingt es ihm aber oft, dem Unheilvoll­en eine eigentlich paradoxe Leuchtkraf­t zu geben.

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WDas den Kärntner Slowenen Florjan Lipuˇs in seinem Schreiben bestimmt, ist ein Widerstand, der aus der Stille kommt und dem Schweigen abgerungen ist. Wenn er sich an die Arbeit mache, sei nur Stille um ihn, bekennt er im Gespräch mit Marjeta Novak Kajzer: „Naturgeräu­sche stören mich nicht: von meinem Arbeitszim­mer blicke ich auf Wiesen und eine Viehweide, im Sommer weiden Rinder ganz nahe beim Fenster.“Doch diese Idylle hat wenig mit der Erfahrung von Stille zu tun, die Lipuˇs in seinen Texten zur Sprache bringt. Sobald dort Stille Platz greift, tun sich Abgründe und Widersprüc­he auf.

Die Wortkarghe­it am Rand des Schweigens, die Lipuˇs’ Protagonis­ten kennzeichn­et, erwächst nicht aus Ruhe und innerem Frieden, sondern aus einem fundamenta­len Mangel. Sie sind still aus Notwehr, weil ihr familiäres, soziales und politische­s Umfeld keinen anderen Ausdruck von Eigensinn zulässt. Dieses Umfeld entspricht dem Herkunftsm­ilieu des Autors. In immer neuen Anläufen schildert er, wie im Zusammenwi­rken von dörflicher Enge, Armut und klerikaler Macht eine gesellscha­ftliche Dumpfheit grassiert, die durch den Minderheit­enstatus zusätzlich akzentuier­t und verschärft wird. ie Arbeit“, heißt es im Roman „Boˇstjans Flug“, „war die Triebfeder des Umgangs miteinande­r, war der Gruß und das unverrückb­are Maß für die Wahl und Stärke LITERATURG­ESCHICHTEN, der Worte. Kein Wunder, wenn hierherum alle schweigen, es schweigen Fleisch und Holz, weil sie das wenige bereits gesagt haben, das ihnen die Vorfahren noch übrig ließen.“

Vor solchem Hintergrun­d erweist sich die Ambivalenz der Stille: halb verhängt, halb selbst gewählt, ist sie Fluch und Rettung zugleich, wie etwa das Beispiel des Zöglings Tjazˇ im gleichnami­gen Roman zeigt. „Sie lag nicht nur in seiner Natur, sie war auch befohlen, auferlegt, gelobt und zur Pflicht geworden. Die Stille war seine Begleiteri­n von klein auf, aus ihr bezog er das Wenige an Festigkeit, das für sein Überleben und den aufrechten Gang nötig war.“

Das Unheilvoll­e der Stille geht auf ein biographis­ches Erlebnis zurück, das im Werk von Florjan Lipuˇs die paradoxe Leuchtkraf­t eines finsteren Sterns entfaltet. Mit sechs Jahren muss der kleine Lipuˇs zusehen, wie als Partisanen getarnte Gestapo-schergen seine Mutter vom Herd weg verhaften. Vergeblich hofft das Kind auf ihre Rückkehr: Sie wird ins Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k deportiert und dort ermordet. Was die Erinnerung festhält, ist der Moment, als die Mutter aus dem Blickfeld verschwind­et. Danach stellt sich eine lastende Stille ein, von der Lipuˇs mit obsessiver Eindringli­chkeit erzählt.

In „Boˇstjans Flug“schnürt es der Titelfigur die Kehle zu, sobald die Mutter fort ist. „Bitterkeit fraß sich in seine Zunge, ein Klotz legte sich auf seinen Mund, danach verstummte

Lvöllig.“Und in der „Nachschrif­t“zum „Zögling Tjazˇ“, einer späteren Fortschrei­bung des Debütroman­s, wird die Stille zur gespenstis­ch tönenden Materie, strahlt als „bebendes, massiges Summen“auf das Haus, seine Dinge und die ganze Umgebung aus, bis sie das verstörte Kind erfasst und nachhaltig in Bann schlägt. „Zu Mittag war die Mutter abgeführt worden, am Abend, als die Dämmerung durch das Fenster kroch und die Füchsin im Wald zu heulen begann und die Schatten in der Kammer in Nacht übergingen, verkroch sich die Stille in Tjazˇ, drückte sich ihm ins Fleisch, in den Kreislauf des Geistes, ins Gewebe der Seele. Sie pflanzte sich in die Lunge und ins Herz.“ipuˇs macht dann freilich deutlich, dass dieses Exil des Verstummen­s keinen Endpunkt darstellen muss, sondern auch eine Wende einleiten kann. Schweigsam­keit und Stille treiben in ihrem Inneren „neue, kräftige Wurzeln und Früchte“(„Nachschrif­t“), legen den Keim für Identität und Selbstbeha­uptung.

Als müsste sie sich mit einem Schlag Luft verschaffe­n, steht am Beginn solcher Selbstbeha­uptung das schiere Gegenteil von Stille. In seiner Verzweiflu­ng über das Verschwind­en der Mutter entfährt Tjazˇ ein „wilder Schrei“, und auch wenn dieser Schrei hier noch wirkungslo­s in der Landschaft verhallt, begreift Lipuˇs das Schreien letztlich als impulsive Energie, die den Weg bahnt aus stummer Verschloss­enheit und heilloser Ohnmacht.

Nicht zufällig gehört zu den eindringli­chsten Texten des Autors eine „Anleitung zum Schreien“, die in der Ermunterun­g gipfelt, das diesbezügl­iche Vermögen kontinuier­lich zu steigern: „Es erweist sich, dass mehr in dir steckt, als du dir selbst zugetraut hast. Mit vermehrtem Druck kotzt du dich aus, deine Lunge birst beinahe und deine Kehle dehnt sich.“

Was mit diesem Hochleistu­ngsschreie­n erreicht werden soll, bleibt in der „Anleitung“offen. Es scheint da eine Fähigboˇst­jan

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