Die hässliche Macht der Masse
Es war eine wortstarke Abrechnung mit einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft, die Festredner Ferdinand von Schirach (53) bei den Salzburger Festspielen präsentierte.
Große Geister, Denker und Dichter, von Voltaire über Stefan Zweig bis Albert Camus, waren es, die Ferdinand von Schirach (53) bei seiner Salzburger Festrede zum Auftakt der Festspiele herbeizitierte. Wobei es eine Ermessensfrage ist, ob er sich, als hellwacher, scharfsichtiger Zeitdiagnostiker nicht bereits mit einigen von ihnen schon halbwegs auf Augenhöhe befindet. „Das Recht gegen die Macht stellen“, so betitelte er seine Rede im Salzburger Festspielhaus, die zu einem vehementen Appell wurde, endlich wieder die Augen zu öffnen angesichts einer vielfach maroden Realität und Gegenwart. Und es war eine eindringliche Warnung vor dem sogenannten Volkswillen, der sich, im Kollektiv, oft „für das Falsche, Dunkle, Furchtbare“entschieden habe. Ein Prozess, der sich, vielfach belegbar, durch die Möglichkeiten des Internets enorm beschleunigte und dies, schier unaufhaltsam, auch weiterhin tut.
Ferdinand von Schirach dazu: „Das Internet hat das Gefüge der Demokratie schon grundlegend verändert.“Das Entscheidende aber sei: „Die Bürger sind nicht mehr nur Empfänger von Nachrichten, sie wurden zu mächtigen Sendern.“Mit häufig seltsamem und bösartigem Sendungsbewusstsein, das ausreicht, um Politikerkarrieren binnen weniger Stunden zu beenden. Er blickte dabei auch zurück auf den Philosophen Jean-jacques Rousseau, der in der Tat schlicht postulierte, der Volkswille treffe stets die richtige Entscheidung.
der deutsche Erfolgsautor, dem neben realen Gerichtsthrillern auch exzellente Essaybände wie „Die Würde ist antastbar“zu verdanken sind, den Rechtsexperten und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach zu Wort kommen. „Was tun, wenn die Demokraten einen Tyrannen wählen? Wann soll eine Sachentscheidung über eine Mehrheitsentscheidung gestellt werden?“Und, noch drastischer: „Wann muss sie es?“
In diesem Zusammenhang brachte Ferdinand von Schirach drei Begriffe ins Spiel, an denen auch Thomas Bernhard seine helle Freude gehabt hätte. Er sprach, mit einem Verweis auf Voltaire, davon, dass es, speziell im Internet und in den sozialen Medien, nicht nur eine „Schwarmintelligenz“, sondern auch eine „Schwarmbösartigkeit“und eine „Schwarmgemeinheit“gebe. Diese unselige die sich vor allem in den sozialen Medien immer stärker ausbreitet, könne, schier unaufhaltsam, „am Ende nur ein weiterer Modebegriff für die ganze hässliche Macht des Stärkeren sein“.
Die Säulen der Bürger- und Menschenrechte seien bedrohlich ins Wanken geraten und mit ihnen auch „genau das, was uns im höchsten Sinn menschlich macht: die Achtung vor unserem Mitmenschen“.
Ferdinand von Schirach vor den da und dort ohnehin schon auf schauderhafte Weise in die Tat umgesetzten Konsequenzen. „Wenn wir heute wieder bereit sind, das aufzugeben – weil manchen eine absolute direkte Demokratie einfacher oder gerechter erscheinen mag – sind wir verloren.“Dies zeige sich jeden Tag, denn der Volkszorn sei unberechenbar, „er ist wild und brutal und kann jederzeit aufgestachelt werden“. Eine kleine Kränkung reiche dafür aus.
Natürlich stimme es, dass wir nicht immer „von Weisen regiert“werden. „Aber so, wie das Ziel der Rechtsprechung nicht Gerechtigkeit, sondern Rechtssicherheit ist“, sei das Prinzip des Parlamentarismus nicht die Herrschaft der Besten, sondern die Möglichkeit, Resehr gierungen wieder friedlich abzuwählen.
Der einzig einigermaßen sichere Halt in dieser brüchigen Welt seien die Verfassungen der freien Länder. „Auch wenn es langweilig klingt. Nur ihre komplizierten Regeln, nur ihre Ausgewogenheit und Langsamkeit ordnen unsere schwankenden Gefühle, sie lehnen Wut und Rache als Ratgeber ab, sie achten den Schwächeren.“Letztwortdreifaltigkeit,