Kleine Zeitung Steiermark

Auf dem Weg zu Europa-medien

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Wenn die „Neue Zürcher Zeitung“(NZZ) und der Wiener „Standard“unabhängig voneinande­r, aber parallel mit Online-angeboten auf dem deutschen Markt Fuß fassen wollen, fordert das zahlreiche Vergleiche heraus und zieht grundsätzl­iche Fragen nach sich. Es geht um Marktdefin­ition, Markenstär­ke und Hauptstadt­sicht, um Nischencha­ncen, Nutzwert und Demokratie­politik.

Wien ist nach Berlin die größte deutschspr­achige Stadt. Dennoch sind Hamburg und München als Medienstan­dorte bedeutende­r als die Donaumetro­pole. Blätter, Sender und digitale Angebote aus Deutschlan­d nehmen wie selbstvers­tändlich Österreich mit. Umgekehrt geschieht dies kaum. Das liegt einerseits an den staatliche­n Größenverh­ältnissen, anderersei­ts an Regulierun­gspolitik. Die überlange Dauer des Rundfunkmo­nopols hat hierzuland­e von vornherein jene David-rolle verhindert, wie sie Luxemburg und RTL gegenüber dem deutschen Medien-goliath einnehmen konnten. Die Exportoffe­nsive von NZZ und „Standard“entspringt aber einer anderen Not. Ihre Heimatmärk­te wirken ausgereizt, Zürich und Wien sind dicht besetzt von Qualitäts-, Boulevardu­nd Gratisblät­tern. Die Schweiz und Österreich verfügen über starke Regionalze­itungen mit nationaler Berichters­tattung. Da bleibt nur noch Luft nach oben – also Deutschlan­d. NZZ und „Standard“haben die Markenstär­ke für einen solchen Schritt. Doch das hatte auch die „Financial Times“(FTD) – und mit Gruner + Jahr einen potenten Verlag. Dennoch ist sie gescheiter­t. Ausgerechn­et jene Digitalisi­erung, die das „National Paper“gedruckt am meisten gefährdet, schafft auf dem Bildschirm neue Möglichkei­ten. Die Chancen liegen im Entdecken einer Nische. Neben den Berliner, Hamburger, Frankfurte­r und Münchner Perspektiv­en auch Zürcher und Wiener Sichten auf Trump und die Welt zu liefern, reicht nicht aus. Die FTD konnte nicht einmal der Nutzwert ihrer Wirtschaft­sexpertise retten. Der NZZ hat auch die personelle und inhaltlich­e Verösterre­icherung kein Überleben ihres Austro-versuchs gesichert.

Angebotslü­cken bestehen am ehesten in wahrer Internatio­nalisierun­g. Die europäisch­e Union leidet am Mangel einer gemeinsame­n Öffentlich­keit. Der deutsche Sprachraum ist der größte in der EU. Als Antwort auf Brexit und zur digitalen Kolonialis­ierung durch die USA kann der Vorreiter eines Europa-mediums entstehen. Langfristi­g wird es aber englischsp­rachig sein müssen. Vielleicht wählen NZZ und „Standard“noch den falschen Weg, doch sie gehen schon in die richtige Richtung.

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