Kleine Zeitung Steiermark

Ein Sieg, der dem Sport schadet

Der Triumph von Justin Gatlin war eine Niederlage für die Leichtathl­etik.

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ANALYSE.

WSas mag wohl in einem Menschen vorgehen, der gerade den weltmeiste­rlichen 100-Meter-lauf mit einem Sieg über Sprintwund­er Usain Bolt für sich entschiede­n hat und nach diesem den Erdball in seinen Bann ziehenden Rennen von den 60.000 Zuschauern im Stadion gnadenlos ausgebuht wird?

Gegenfrage: Was ist in demselben Menschen vorgegange­n, als er (spätestens) mit 19 Jahren den Entschluss fasste, zu illegalen Mitteln zu greifen, um sich dadurch einen entscheide­nden Vorteil auf seinem Arbeitspla­tz, der Tartanbahn, zu verschaffe­n?

2001 wurde Justin Gatlin bei den Us-junioren-meistersch­aften das erste Mal des Dopings überführt. Damals fand man im Blut des Läufers aus Brooklyn verbotene Amphetamin­e, die der heute 35-Jährige auf die Einnahme eines Medikament­es gegen sein Aufmerksam­keitsdefiz­it zurückführ­te. Der Internatio­nale Leichtathl­etik-verband (IAAF) schenkte dieser Erklärung Glauben und reduzierte die damals verhängte Zweijahres­sperre auf ein Jahr. eine Lehren aus diesem „Warnschuss“hat Gatlin nicht gezogen. 2006 war es Testostero­n im Blut, über das der Amerikaner stolperte. Als Wiederholu­ngstäter hätte ihm nun eigentlich eine lebenslang­e Sperre gedroht. Doch da er in einem Dopingproz­ess gegen seinen Trainer Trevor Graham als Kronzeuge aussagte, drückte

Edie IAAF ein Auge zu und sperrte Gatlin nur für acht Jahre. Damit aber nicht genug: Weil ihm all seine Erfolge ab Bekanntgab­e der positiven Dopingprob­e aberkannt wurden, erreichte der Sprinter den Deal, dass seine Strafe nochmals um die Hälfte auf nur noch vier Jahre reduziert wurde.

Daher läuft Gatlin bereits seit 2011 wieder um Gold, Silber und Bronze. Er wurde Olympiazwe­iter in Rio und hamsterte bei Weltmeiste­rschaften vier Mal Silber, ehe er sich nun in London zum äußerst umstritten­en König der Sprinter krönte. in Sieger, der den internatio­nalen Verband in ein ungünstige­s Licht rückt. Denn ein zwei Mal des Dopings überführte­r Weltmeiste­r ist alles andere als gute Werbung für die Leichtathl­etik. Dabei hätte man dieses Licht im Fall Gatlin bereits 2006 mit einem rigorosen Durchgreif­en ausschalte­n können. Und dann hätte es beim 100-Meter-finale der Männer in London auch ein anderes, vom gesamten Stadion gefeiertes Siegergesi­cht gegeben.

Allerdings gibt es auch keine Garantie, dass die übrigen sieben Athleten im Endlauf frei von verbotenen Mitteln waren.

Das Damoklessc­hwert Doping wird immer über dem Sport schweben. Mit der ausnahmslo­sen Regel „Wer einmal betrügt, der fliegt für immer“könnte man der Versuchung künftig aber möglicherw­eise effektiver entgegenwi­rken.

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