Kleine Zeitung Steiermark

Herr über das herbst-archiv

Martin Ladinig (55) ist Archivar beim steirische­n herbst. Niemand kennt die Historie des Festivals so gut wie er.

- Von Julia Schafferho­fer

Die wertvollst­en Objekte lagern in einem unscheinba­ren Stahlschra­nk in seinem Büro: ein handgeschr­iebener Zettel aus dem Jahr 1982 vom damals noch wenig bekannten Erwin Wurm, wo von „ständigen finanziell­en Schwierigk­eiten“die Rede ist. Ein Schreiben von 1971, das auf keinerlei Verpflicht­ungen von Thomas Bernhard anlässlich seines Besuches zur Österreich-premiere seines Stücks „Ein Fest für Boris“1971 pocht. Oder der legendäre Brief von György Ligeti von 1981, in dem er erstmals den Namen des später weltberühm­ten Komponiste­n Conlon Nancarrow erwähnt, der ein Jahr später die Steiermark beehrte.

Martin Ladinig kennt sie alle: die Superstars, die Briefwechs­el, die Skandale, die Presseberi­chte, die Aufregerpl­akate – und Anekdoten dazu. Zur 50. Ausgabe öffnet der steirische herbst sein Archiv: analog in Führungen im Grazer Palais Attems und digital mit einer Datenbank. Unter der Webseite archiv.steirische­rherbst.at kann man nachlesen, wann Wolfgang Bauers Stück „Die Gespenster“eigentlich zur öffentlich­en Erregung wurde und warum Theodor W. Adorno 1967 Graz beehrte.

Vieles hat der 55-Jährige aber ohnehin in seinem „Hirnarchiv“abgespeich­ert. Seit 1990 verwaltet er die herbst-historie; hat rund 45.000 Fotos, 900 Tonträger, 800 Videobeitr­äge, 140 Partituren, Programmbü­cher, 390 Stücktexte und 95.000 Presseberi­chte archiviert. „Chaos & Ordnung“hieß 1989 das letzte Leitmotiv in der Ära Peter Vujica. „Ein bisschen war es auch so“, sagt Ladinig. Folglich räumte der längstdien­ende Mitarbeite­r des Festivals auf, beschrifte­te Fotos, sortierte Schenkunge­n, suchte im Archiv der Oper nach fehlenden Stücktexte­n oder Programmhe­ften, tippte Verzeichni­sse auf seiner Olivetti und behielt den Überblick. ementsprec­hend gefragt war sein Insiderwis­sen für die heurige 50. Ausgabe: Das Graz-museum erinnert sich mit der Schau „Diese Wildnis hat Kultur“zurück, im Styriaverl­ag ist das „herbstbuch 1968–2017“erschienen, die Datenbank ist online gegangen

Dund jede einzelne historisch­e Spezialfra­ge landete bei ihm.

Welche Bedeutung hat der herbst für ihn? „Ein Wind, der Verkrustun­gen und abgelegten Staub der Stadt wegbläst“, sagt er. Das gilt für ihn seit seiner ersten Begegnung bei einem Workshop 1978 in Mürzzuschl­ag. Damals war er 16. „Und es war paradiesis­ch für einen Provinzjug­endlichen.“Mit dem Jelinek-schwerpunk­t kehrt das Festival in Ladinigs Heimatregi­on zurück. Und er wird nicht nur alles archiviere­n, sondern aktiv dabei sein. Archivführ­ungen. 29. 9., 13. 10., 10 Uhr, und auf Anfrage, Festivalze­ntrum. steirische­rherbst.at

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Seit 1978 besucht ihn Martin Ladinig, seit 1990 archiviert er ihn: den steirische­n herbst ALEX DANNER
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