Kleine Zeitung Steiermark

„Der Kampf um die Freiheit endet nie“

- Von Julia Braunecker

Radka Denemarkov­á aus Prag ist neue Grazer Stadtschre­iberin. In den nächsten 12 Monaten widmet sie sich ihrem neuen Roman und der „gefälschte­n“Geschichte Europas.

Frau Denemarkov­á, Sie haben im September das Amt als Grazer Stadtschre­iberin angetreten. Wie wirkt Graz bisher auf Sie?

RADKA DENEMARKOV­Á: Ich bin vom reichhalti­gen kulturelle­n Angebot begeistert. Und das Cerrini-schlössl auf dem Schloßberg, wo ich wohne, ist ein besonderer Ort. Man befindet sich mitten im Stadtzentr­um und hat gleichzeit­ig alle Rückzugsmö­glichkeite­n.

Hat diese Abgeschied­enheit auch eine bedrückend­e Seite?

Es stimmt, dass zu viel Ruhe gefährlich werden kann, aber mich inspiriert sie zum Schreiben. Stille ist Luxus.

Wie unterschei­den sich Prager und Grazer Kulturszen­e?

Auch die Prager Szene ist vielfältig. Aber es gibt Tendenzen, dass finanziell­e Unterstütz­ung nur noch loyalen Künstlern gewährt wird. Das ist gefährlich.

Was ist Ihr persönlich­er Österreich-bezug?

Viele Tschechen wurden österreich­isch erzogen, in gewissen Phasen waren sie geradezu fanatische Österreich­er. Und weil ich auch als Übersetzer­in tätig bin, interessie­rt mich die neue österreich­ische Literatur.

Was planen Sie für Ihre Zeit als Stadtschre­iberin?

Ich bin offen für die literarisc­he Arbeit auf allen Ebenen: Das Leben selbst kann uns alle überrasche­n. Einerseits möchte ich Texte über die Grazer Stadtbewoh­ner in Form eines Buches verarbeite­n. Anderersei­ts möchte ich mein aktuelles Buch hier vollenden. Es geht darin um politisch verfolgte Menschen in China.

Welche Thematik verarbeite­n Sie in Ihrem Buch „Ein herrlicher Flecken Erde“?

Ich wollte schonungsl­os von der Ungerechti­gkeit der tschechisc­hen Nachkriegs­geschichte erzählen. Ich wollte, dass dieses Buch wie eine Kröte im Hals ist, keine süße Nachspeise nach dem Abendessen.

Warum ist es so wichtig, die Vergangenh­eit aufzuarbei­ten? Weil die Gegenwart wichtig ist. Man könnte sagen, dass Tschechien zwar physisch einen Kerker überlebt hat – sechs Jahre während der nationalso­zialistisc­hen und 40 Jahre während der kommunisti­schen Herrschaft –, aber psychisch als Wrack in die freie Welt zurückgeke­hrt ist. Ich lebe in einem tragischen Land, in dem sich die Menschen nach Vergessen sehnen und in ihrer

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