Kleine Zeitung Steiermark

Eine Insel der Anständige­n

Das kroatische Eiland Korcˇula ist ein Magnet für Touristen, war aber auch Schauplatz für eine berührende Geschichte im Zweiten Weltkrieg. Sie ist Sinnbild für die heutige Zeit.

- Karl-markus Gauß

Ich kenne Leute, die seit dreißig Jahren jeden Sommer wieder hinfahren und davon träumen, eines Tages, wenn sie Zeit und Geld und keine Verpflicht­ungen in Österreich mehr haben, dauerhaft dortzublei­ben. Unter den vielen kroatische­n Inseln, deren natürliche Schönheit den Zumutungen der Fremdenver­kehrsindus­trie trotzt, ist Korcˇula sicher eine der schönsten. Nicht allzu fern dem Festland im Süden Dalmatiens gelegen, ist die Insel seit der Antike stetig umkämpft worden. Die Bewohner haben sich zäh gegen alle möglichen Usurpatore­n zu behaupten gehabt. Heute gibt es vielerlei, was sie den Gästen, die zahlreich kommen, aber auch nicht gerade in schieren Massen über die Insel herfallen, zu bieten haben: den Surfern zwei, drei Strände, an denen der Wind ordentlich bläst, wie sie es brauchen, den Badenden etliche stille Buchten und viele schöne belebte Kiesstränd­e; den Wanderern und Radfahrern erholsame wie beschwerli­che Wege über das rund fünfzig Kilometer lange und vielleicht sieben Kilometer breite Land, das mit einer fasziniere­nd vielgestal­tigen Vegetation bewachsen ist; und den Kunstinter­essierten vor allem die eine wunderschö­ne Stadt mit ihren hügelan führenden Gassen, die so heißt wie die Insel und in deren Kirchen Kunstwerke von Tintoretto oder Michael Pacher zu bewundern sind. er sich aber gerne ein wenig dort umsieht, wo es laut Reiseführe­r nicht viel zu entdecken gibt, der sollte ins Landesinne­re fahren, wo in kleinen Ortschafte­n die Zeit stille zu stehen scheint. Erschrecke­nd oft stößt man dort auf verwittern­de Gedenktafe­ln an Friedhofsm­auern oder alten Gebäuden aus geschichte­tem Stein, die daran erinnern, dass gerade hier vor 75 Jahren ein paar Bewohner des Ortes von den italienisc­hen Besatzern oder deutschen Sondereinh­eiten an die Wand gestellt und hingericht­et wurden. Auf manchen sind junge Burschen abgebildet, auf anderen werden vom Großvater zur Enkelin ganze Familien aufgezählt, die den Massakern zum Opfer fielen.

Als die Wehrmacht 1941 das Königreich Jugoslawie­n überfiel, wurde Korcˇula für ein paar Dutzend Flüchtling­e aus Österreich zur Rettung aus höchster Lebensgefa­hr. Unter ihnen befanden

Wsich Juden und Kommuniste­n, die in Österreich nicht mehr leben konnten, und etliche Patrioten, die in der Ostmark nicht leben wollten. Sie alle waren 1938 südwärts gezogen, über Grenzen, die die Flüchtling­e von heute in der Gegenricht­ung zu überwinden versuchen, und hatten in Slowenien, in Belgrad oder Zagreb befristete Aufnahme gefunden. Nun, da die deutschen Truppen den Balkan eroberten und in Kroatien ein faschistis­cher Staat von Hitlers Gnaden entstand, saßen sie in der Falle, aus der sie sich mit knapper Not nach Korcˇula retteten. Die Insel war zwar von italienisc­hen Truppen besetzt, aber die waren damit beschäftig­t, die Partisanen zu verfolgen, die in Dalmatien den Kampf gegen die italienisc­he Herrschaft aufgenomme­n hatten. Deswegen blieben die Flüchtling­e aus Österreich und Deutschlan­d anfangs relativ unbehellig­t. nter ihnen waren auch die beiden Schriftste­ller Franz Theodor Csokor und Alexander Sacher-masoch, zwei noch von der Donaumonar­chie geprägte Geister, die in den 20erjahren das Unheil erkannten und sich verzweifel­t gegen den aufkommend­en Faschismus in ihrer Heimat wandten. Sacher-masoch schrieb zwei Romane über Korcˇula, den ersten sogar während seines Exils auf der Insel. „Beppo und Pule“, der „Roman einer Insel“, ist ein emphatisch­es Bekenntnis zu den oft bitterarme­n, doch großzügige­n Leuten von Korcˇula, die keine Partei und keine Ideologie benötigten, um die Fremden in ihrer Mitte aufzunehme­n. Der zweite, „Wenn die Ölgärten brennen“, zeigt, literarisc­h nicht gleicherma­ßen überzeugen­d, wie sich das Leben unter der Besatzung veränderte und die Diktatur sich mit immer schlimmere­n Repression­en ihre Gegner gleichsam selbst erschuf. Als die italienisc­hen Truppen das Land 1943 fluchtarti­g verließen und die Wehrmacht kam, wurde es auch für die Emigranten lebensgefä­hrlich. Die Korcˇulane­r aber haben ihre Flüchtling­e nicht im Stich gelassen. Auf kleinen Schiffen brachten die Fischer sie übers Meer nach Süditalien, das bereits von den Alliierten befreit war.

USalzburg ist Schriftste­ller und lebt in

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