Eine Insel der Anständigen
Das kroatische Eiland Korcˇula ist ein Magnet für Touristen, war aber auch Schauplatz für eine berührende Geschichte im Zweiten Weltkrieg. Sie ist Sinnbild für die heutige Zeit.
Ich kenne Leute, die seit dreißig Jahren jeden Sommer wieder hinfahren und davon träumen, eines Tages, wenn sie Zeit und Geld und keine Verpflichtungen in Österreich mehr haben, dauerhaft dortzubleiben. Unter den vielen kroatischen Inseln, deren natürliche Schönheit den Zumutungen der Fremdenverkehrsindustrie trotzt, ist Korcˇula sicher eine der schönsten. Nicht allzu fern dem Festland im Süden Dalmatiens gelegen, ist die Insel seit der Antike stetig umkämpft worden. Die Bewohner haben sich zäh gegen alle möglichen Usurpatoren zu behaupten gehabt. Heute gibt es vielerlei, was sie den Gästen, die zahlreich kommen, aber auch nicht gerade in schieren Massen über die Insel herfallen, zu bieten haben: den Surfern zwei, drei Strände, an denen der Wind ordentlich bläst, wie sie es brauchen, den Badenden etliche stille Buchten und viele schöne belebte Kiesstrände; den Wanderern und Radfahrern erholsame wie beschwerliche Wege über das rund fünfzig Kilometer lange und vielleicht sieben Kilometer breite Land, das mit einer faszinierend vielgestaltigen Vegetation bewachsen ist; und den Kunstinteressierten vor allem die eine wunderschöne Stadt mit ihren hügelan führenden Gassen, die so heißt wie die Insel und in deren Kirchen Kunstwerke von Tintoretto oder Michael Pacher zu bewundern sind. er sich aber gerne ein wenig dort umsieht, wo es laut Reiseführer nicht viel zu entdecken gibt, der sollte ins Landesinnere fahren, wo in kleinen Ortschaften die Zeit stille zu stehen scheint. Erschreckend oft stößt man dort auf verwitternde Gedenktafeln an Friedhofsmauern oder alten Gebäuden aus geschichtetem Stein, die daran erinnern, dass gerade hier vor 75 Jahren ein paar Bewohner des Ortes von den italienischen Besatzern oder deutschen Sondereinheiten an die Wand gestellt und hingerichtet wurden. Auf manchen sind junge Burschen abgebildet, auf anderen werden vom Großvater zur Enkelin ganze Familien aufgezählt, die den Massakern zum Opfer fielen.
Als die Wehrmacht 1941 das Königreich Jugoslawien überfiel, wurde Korcˇula für ein paar Dutzend Flüchtlinge aus Österreich zur Rettung aus höchster Lebensgefahr. Unter ihnen befanden
Wsich Juden und Kommunisten, die in Österreich nicht mehr leben konnten, und etliche Patrioten, die in der Ostmark nicht leben wollten. Sie alle waren 1938 südwärts gezogen, über Grenzen, die die Flüchtlinge von heute in der Gegenrichtung zu überwinden versuchen, und hatten in Slowenien, in Belgrad oder Zagreb befristete Aufnahme gefunden. Nun, da die deutschen Truppen den Balkan eroberten und in Kroatien ein faschistischer Staat von Hitlers Gnaden entstand, saßen sie in der Falle, aus der sie sich mit knapper Not nach Korcˇula retteten. Die Insel war zwar von italienischen Truppen besetzt, aber die waren damit beschäftigt, die Partisanen zu verfolgen, die in Dalmatien den Kampf gegen die italienische Herrschaft aufgenommen hatten. Deswegen blieben die Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland anfangs relativ unbehelligt. nter ihnen waren auch die beiden Schriftsteller Franz Theodor Csokor und Alexander Sacher-masoch, zwei noch von der Donaumonarchie geprägte Geister, die in den 20erjahren das Unheil erkannten und sich verzweifelt gegen den aufkommenden Faschismus in ihrer Heimat wandten. Sacher-masoch schrieb zwei Romane über Korcˇula, den ersten sogar während seines Exils auf der Insel. „Beppo und Pule“, der „Roman einer Insel“, ist ein emphatisches Bekenntnis zu den oft bitterarmen, doch großzügigen Leuten von Korcˇula, die keine Partei und keine Ideologie benötigten, um die Fremden in ihrer Mitte aufzunehmen. Der zweite, „Wenn die Ölgärten brennen“, zeigt, literarisch nicht gleichermaßen überzeugend, wie sich das Leben unter der Besatzung veränderte und die Diktatur sich mit immer schlimmeren Repressionen ihre Gegner gleichsam selbst erschuf. Als die italienischen Truppen das Land 1943 fluchtartig verließen und die Wehrmacht kam, wurde es auch für die Emigranten lebensgefährlich. Die Korcˇulaner aber haben ihre Flüchtlinge nicht im Stich gelassen. Auf kleinen Schiffen brachten die Fischer sie übers Meer nach Süditalien, das bereits von den Alliierten befreit war.
USalzburg ist Schriftsteller und lebt in