„Man gilt gleich als elitärer Besserwisser“
Für das heimische Bildungssystem hat Philosoph Liessmann wenig übrig. Ein Gespräch über gefährliche Schulreformen und warum Begegnungen mit gebildeten Menschen unangenehm sind.
In Ihrem neuen Buch erklären Sie, wie unangenehm es ist, gebildeten Menschen zu begegnen. Sie sind Universitätsprofessor: Ist es unangenehm,
Ihnen zu begegnen?
KONRAD PAUL LIESSMANN:
Das weiß ich nicht, ich hoffe nicht. Ich zähle mich aber auch nicht zu jenen Gebildeten, die mir als Ideal vorschweben. Je älter ich werde, desto deutlicher wird mir, was ich alles nicht weiß und womit ich mich noch befassen sollte. Unangenehm ist eher die Ignoranz, mit der über Bildung gesprochen wird. Wir sind eine Wissensgesellschaft, heißt es, jeder kann alles wissen, weil er es googlen kann. Das ist das Dümmste, das aktuell zu vernehmen ist. Und es ist nicht gut für die Idee der Bildung. Denn die hat mit reiner Gedächtnisleistung ohnehin nichts zu tun. Gebildet ist, wer das, was er weiß, nicht primär für ökonomische Zwecke nutzt, sondern dafür, sich selbst zu formen.
Ihr Buch trägt den Titel „Bildung als Provokation“. Was provoziert daran? Bildungsbürger provozieren zum Beispiel. Wer sich in Literatur, Kunst und Kultur auskennt, vielleicht ein paar Verse aus der „Ilias“zitieren kann und Dinge auch ohne Smartphone weiß, ist gleich als elitärer Besserwisser verschrieen. Und wer behauptet, dass Kafka, Goethe oder Thomas Mann wichtiger als drittklassige Tv-serien sind, provoziert sowieso. Wenn es um Bildung geht, geht es auch um Haltung, um Positionierung, um Urteilskraft und Kritik. Und auch die provoziert. Bildet man junge Menschen nur zu flexiblen, anpassungsfähigen, vielleicht funktionstüchtigen, aber innerlich leeren Hüllen aus, wie es der aktuellen Bildungspolitik als Ideal vorzuschweben scheint, wird sich die Provokation in Grenzen halten.
Sie nennen das Lesen als zentrale Form der Bildung. Nun wird Österreich aber laufend bescheinigt, dass die Kinder nicht lesen können und wollen. Wie kann man sie dafür begeistern?
Mit Zwang wird man das nicht erreichen. Ich glaube, dass Bildungseinrichtungen Grundla- gen vermitteln und den Kindern ein Angebot machen müssen. Und sie müssen klar machen, dass man sich Lesen erarbeiten muss. Es ist uns nicht wie das Hören oder Sehen von Natur aus gegeben, sondern eine Kulturtechnik, die wir lernen und üben müssen. Aber wir steuern auf eine neue Bilderschriftkultur zu, die einen strukturellen Analphabetismus fördert. Ich kann fast alles mit Emojis ausdrücken, dazu brauche ich nicht lesen oder schreiben zu können. Man muss Lust haben, zu lesen. Deshalb haben Schulen die Pflicht, den Kindern zu vermitteln, welche besonderen Erfahrungen sie machen können, wenn sie ein gutes Buch lesen.
Über Bildung wird vor allem dann diskutiert, wenn neue Oecd-studien schlechte Noten an unser Bildungssystem verteilen. Warum schneiden wir so schlecht ab? Weil wir dem Konzept einer industrialisierten Bildung, das Organisationen wie die OECD vertreten, nicht entsprechen. Und ich halte es für verhängnisvoll, diesen Institutionen so viel Bedeutung beizumessen, obwohl sie klare Interessen vertreten. Die OECD fordert beispielsweise Mantra-artig „hohe Akademikerquoten“. Länder wie Spanien oder Italien, die dieser Forderung gefolgt sind, haben heute mit einer beunruhigend hohen Akademiker-arbeitslosigkeit zu kämpfen. Auch mit prosperierender Wirtschaft hat diese Quote nichts zu tun. Bestes Beispiel dafür ist die Schweiz. Dort gibt es die europaweit niedrigste Akademikerquote und das Land ist wirtschaftlich höchst erfolgreich. Es sind also zum Teil Märchen, die hier verbreitet werden. Österreich sollte gegenüber diesen Einrichtungen deutlich selbstbewusster auftreten. Das heißt