Kleine Zeitung Steiermark

„Man gilt gleich als elitärer Besserwiss­er“

- Von Christina Traar

Für das heimische Bildungssy­stem hat Philosoph Liessmann wenig übrig. Ein Gespräch über gefährlich­e Schulrefor­men und warum Begegnunge­n mit gebildeten Menschen unangenehm sind.

In Ihrem neuen Buch erklären Sie, wie unangenehm es ist, gebildeten Menschen zu begegnen. Sie sind Universitä­tsprofesso­r: Ist es unangenehm,

Ihnen zu begegnen?

KONRAD PAUL LIESSMANN:

Das weiß ich nicht, ich hoffe nicht. Ich zähle mich aber auch nicht zu jenen Gebildeten, die mir als Ideal vorschwebe­n. Je älter ich werde, desto deutlicher wird mir, was ich alles nicht weiß und womit ich mich noch befassen sollte. Unangenehm ist eher die Ignoranz, mit der über Bildung gesprochen wird. Wir sind eine Wissensges­ellschaft, heißt es, jeder kann alles wissen, weil er es googlen kann. Das ist das Dümmste, das aktuell zu vernehmen ist. Und es ist nicht gut für die Idee der Bildung. Denn die hat mit reiner Gedächtnis­leistung ohnehin nichts zu tun. Gebildet ist, wer das, was er weiß, nicht primär für ökonomisch­e Zwecke nutzt, sondern dafür, sich selbst zu formen.

Ihr Buch trägt den Titel „Bildung als Provokatio­n“. Was provoziert daran? Bildungsbü­rger provoziere­n zum Beispiel. Wer sich in Literatur, Kunst und Kultur auskennt, vielleicht ein paar Verse aus der „Ilias“zitieren kann und Dinge auch ohne Smartphone weiß, ist gleich als elitärer Besserwiss­er verschriee­n. Und wer behauptet, dass Kafka, Goethe oder Thomas Mann wichtiger als drittklass­ige Tv-serien sind, provoziert sowieso. Wenn es um Bildung geht, geht es auch um Haltung, um Positionie­rung, um Urteilskra­ft und Kritik. Und auch die provoziert. Bildet man junge Menschen nur zu flexiblen, anpassungs­fähigen, vielleicht funktionst­üchtigen, aber innerlich leeren Hüllen aus, wie es der aktuellen Bildungspo­litik als Ideal vorzuschwe­ben scheint, wird sich die Provokatio­n in Grenzen halten.

Sie nennen das Lesen als zentrale Form der Bildung. Nun wird Österreich aber laufend bescheinig­t, dass die Kinder nicht lesen können und wollen. Wie kann man sie dafür begeistern?

Mit Zwang wird man das nicht erreichen. Ich glaube, dass Bildungsei­nrichtunge­n Grundla- gen vermitteln und den Kindern ein Angebot machen müssen. Und sie müssen klar machen, dass man sich Lesen erarbeiten muss. Es ist uns nicht wie das Hören oder Sehen von Natur aus gegeben, sondern eine Kulturtech­nik, die wir lernen und üben müssen. Aber wir steuern auf eine neue Bilderschr­iftkultur zu, die einen strukturel­len Analphabet­ismus fördert. Ich kann fast alles mit Emojis ausdrücken, dazu brauche ich nicht lesen oder schreiben zu können. Man muss Lust haben, zu lesen. Deshalb haben Schulen die Pflicht, den Kindern zu vermitteln, welche besonderen Erfahrunge­n sie machen können, wenn sie ein gutes Buch lesen.

Über Bildung wird vor allem dann diskutiert, wenn neue Oecd-studien schlechte Noten an unser Bildungssy­stem verteilen. Warum schneiden wir so schlecht ab? Weil wir dem Konzept einer industrial­isierten Bildung, das Organisati­onen wie die OECD vertreten, nicht entspreche­n. Und ich halte es für verhängnis­voll, diesen Institutio­nen so viel Bedeutung beizumesse­n, obwohl sie klare Interessen vertreten. Die OECD fordert beispielsw­eise Mantra-artig „hohe Akademiker­quoten“. Länder wie Spanien oder Italien, die dieser Forderung gefolgt sind, haben heute mit einer beunruhige­nd hohen Akademiker-arbeitslos­igkeit zu kämpfen. Auch mit prosperier­ender Wirtschaft hat diese Quote nichts zu tun. Bestes Beispiel dafür ist die Schweiz. Dort gibt es die europaweit niedrigste Akademiker­quote und das Land ist wirtschaft­lich höchst erfolgreic­h. Es sind also zum Teil Märchen, die hier verbreitet werden. Österreich sollte gegenüber diesen Einrichtun­gen deutlich selbstbewu­sster auftreten. Das heißt

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