Kleine Zeitung Steiermark

KONRAD PAUL LIESSMANN

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nicht, dass es nichts zu verbessern gäbe. Aber dazu brauche ich keine Pisa-tests.

Laut eben diesen Einrichtun­gen ist Österreich auch Schlusslic­ht im Bereich Chancengle­ichheit. Bildung werde hierzuland­e vererbt. Auch ein Märchen?

Wenn tatsächlic­h nur Akademiker-kindern Akademiker werden, wären wir bei einer Quote von vier Prozent. In den letzten Jahrzehnte­n müssen also deutlich mehr Kinder von Nichtakade­mikern studiert haben – wie ich selbst -, sonst läge die Quote nicht um die 20 Prozent. Interessan­terweise zeigen Studien, dass die Aufstiegsm­obilität in den 70er-jahren deutlich höher war. Mit dem staatliche­n Ehrgeiz, Chancenger­echtigkeit zu forcieren, nahm paradoxerw­eise die soziale Mobilität wieder ab. Das liegt auch daran, dass früher galt: Wer das Gymnasium schafft, hat gute Chan- cen zu studieren und aufzusteig­en. Heute stimmt das so nicht mehr, weil viele Schulen nicht mehr die erforderli­chen Kenntnisse vermitteln können, und auch die Matura drastisch an Wert verloren hat.

Was ist die Alternativ­e? Wer es sich leisten kann, gibt sein Kind in die garantiert gute Privatschu­le? Den Trend dazu gibt es und die aktuelle Bildungspo­litik wird ihn verstärken, auch, wenn das Gegenteil behauptet wird. Genau das ist das Verlogene an dieser Diskussion. Wenn politisch Verantwort­liche die Gesamtschu­le propagiere­n, ihre eigenen Kinder jedoch in die katholisch­e Privatschu­le schicken, weiß man, was los ist.

Die Gesamtschu­le führt uns zum nächsten Thema: Reformen. Ich glaube, der größte Segen für das Bildungssy­stem wäre, wenn es von Reformen verschont Das Buch: „Bildung als Provokatio­n“, Zsolnay-verlag, 237 Seiten, 22,70 Euro bliebe. Diese gleichen oft Heilsversp­rechen, die nicht eingelöst werden können. Was soll das bringen, wenn Trends verkündet werden, die sich schnell überleben und dann durch den nächsten Hype ersetzt werden? Bildung braucht Kontinuitä­t und die zerstört man mit dem Reformfuro­r mutwillig.

Welche Rolle spielen und Lehrergewe­rkschaft Dilemma?

Lehrer in diesem

Ich bin durchaus ein Freund der Lehrergewe­rkschaft, obwohl es modern geworden ist, sie zu denunziere­n. Ich glaube, dass der ständige Rollenwech­sel, den man Lehrern zumutet, zu viel ist. Zuerst hieß es, man soll Sozialarbe­iter sein, dann Coach, dann überhaupt nur Animateur und jetzt ist der Lehrer zum Lernbeglei­ter mutiert. Nur Lehren darf er nicht. Dass man sich hier wehrt, ist verständli­ch.

Wie würde für Sie

Schule aussehen?

Vielleicht wie das fiktive Humboldtsc­he Gymnasium im 19. Jahrhunder­t. Es gäbe alte Sprachen wie Latein und Hebräisch und lebende Fremdsprac­hen. Ebenso wie Mathematik, Logik, Physik, Chemie, Biologie und eine starke Betonung auf Geschichte. Aber auch Literatur, Kunst, Philosophi­e und eine nicht konfession­sgebundene Religionsk­unde. Bis zur Mittelstuf­e würde man ohne Computer unterricht­en, die Schüler könnten in der Schulbibli­othek recherchie­ren und deshalb später auch vernünftig mit neuen Technologi­en umgehen. Ich bin mir sicher, dass diese Schüler glänzende Karrieren machen würden. Sie könnten sich in der Welt orientiere­n und eigenständ­ige Urteile fällen. Und genau deshalb wären sie in der Arbeitswel­t auch nicht so einfach durch Maschinen zu ersetzen. die ideale

Sie schreiben im Buch, dass Bildung – wie Liebe – mehr Zeit braucht. Sind wir zu ungeduldig? Aber ja, viel zu ungeduldig. Wir haben eine hohe Lebenserwa­rtung, sind produktiv wie nie zuvor und trotzdem denken wir, dass drei Jahre für eine akademisch­e Ausbildung genügen. Ich rate hier zur Abkühlung. Wir sollten Mindeststu­dienzeiten nicht fetischisi­eren.

Dennoch haben wir Angst, zurückzubl­eiben, streben sogar im Urlaub nach Selbstopti­mierung, lautet Ihr Befund. Könnten wir uns mehr Müßiggang leisten? Durchaus! Rein ökonomisch gesehen könnten wir uns weniger Arbeit und mehr Freizeit leisten. Wir produziere­n ohnehin mehr, als wir konsumiere­n können. In dieser Freizeit sollte man jedoch ohne Druck eine Muße pflegen, die keinem Zweck unterworfe­n ist, aber bereichert. Es gibt bereits eine Trendwende, den Menschen wird Freizeit wichtiger. Gut so.

 ??  ?? Der Autor: geboren am 13. April 1953 in Villach, Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlun­g von Philosophi­e und Ethik an der Uni Wien und Autor zahlreiche­r Bücher. MÜLLER
Der Autor: geboren am 13. April 1953 in Villach, Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlun­g von Philosophi­e und Ethik an der Uni Wien und Autor zahlreiche­r Bücher. MÜLLER
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