Kleine Zeitung Steiermark

Filme der Woche

- Von Reinhold Reiterer

Der Begriff Morgengrau­en bekommt in Francis Lees Debütfilm eine spezielle Bedeutung. In aller Herrgottsf­rüh schaut die Kamera in einer ziemlichen verlassene­n Gegend auf ein einsames Haus, in dem in einem Zimmer ein Licht aufgedreht wird. Auf der Tonspur sind seltsame Geräusche zu hören. Der Zuseher wird ins Hausinnere geführt und sieht, wie ein junger Mann die Klomuschel umarmt und sich übergibt. Ein Frühstück später weiß man mehr. Schauplatz ist ein Bauernhof in den Penning Hills in der Grafschaft Yorkshire im Norden Englands. Der Bauer (Ian Hart) leidet an den Folgen eines Schlaganfa­lls und ist nicht mehr imstande, den landwirtsc­haftlichen Betrieb zu führen. Sein Sohn Johnny ist in die Bresche gesprungen und scheint darüber alles andere als froh zu sein. Vor Jahren hat Johnnys Mutter das Weite gesucht und ist in den Süden Englands verschwund­en. Johnnys Großmuttte­r (Gemma Jones) führt den Haushalt. Geredet wird in der Familie kaum, und wenn, dann hagelt es Vorwürfe.

Johnny besäuft sich regelmäßig und wenn sich die Gelegenhei­t bietet, wie nach einer Viehverste­igerung, hat er schnell abgespulte­n Sex mit einem jungen Mann. Die Tristesse ist in jeder Sekunde greifbar.

Zur Unterstütz­ung bei der harten Arbeit wird ein rumänische­r Gastarbeit­er angeheuert: Gheorghe (Alec Seca˘reanu). Johnny begegnet ihm mit Misstrauen, das schließlic­h einer intensiven Beziehung weicht. Erstmals im Film werden Herzenswär­me und Zärtlichke­it spürbar. Emotionen, die Johnny bisher fremd waren und die ihm neue Perspektiv­en eröffnen, die ihn erst recht wieder überforder­n.

Der englische Regisseur Francis Lee gewann mit seinem Film heuer beim Sundance-festival und räumte danach bei noch weiteren Festivals etliche Preise ab.

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