Eine Branche macht sich selbst den Prozess
Radioneuheit: Entwicklungshilfe auf der Anklagebank und Zuhörer als Geschworene.
Die Vorwürfe der Anklage wiegen schwer und ihre Forderungen sind radikal: Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) sei ein kollektiver europäischer Selbstbetrug, in der Sache ineffizient und noch dazu stereotyp und rassistisch. Kurz: „Die Entwicklungszusammenarbeit ist wirkungslos und schädlich“, bringt es Friedbert Ottacher (Universität Wien) als Ankläger in diesem Radio-prozess schon zu Beginn auf den
Punkt. Er fordert nicht weniger als das Ende der österreichischen Entwicklungshilfe. Sein Gegenspieler ist Verteidiger Thomas Vogel (Horizont 3000), der vehement auf die Erfolge der 65jährigen Hilfe in den ärmsten Ländern der Erde verweist. Ein virtuelles Gerichtsspiel mit realen Menschen und echten Dilemmata.
Am Samstag findet in den „Hörspielen“(9.05 Uhr) ein Format Ö 1-Premiere, das insbesondere Ferdinand von Schirach populär gemacht hat: Während in „Terror“allerdings eine (Piloten-)figur auf der Anklagebank sitzt, ist es in dieser Gerichtsverhandlung ein Konzept, jenes der EZA. Die Geschworenen sind die Radiozuhörer und die Prozessordnung gibt die Dramaturgie vor: Beweise, Zeugen (u. a. Caritas und Fairtrade) und Gutachter. Dazwischen harte Diskussionen mit stichhaltigen Argumenten auf beiden Seiten. Schnell ist klar: Gerade in (Post-)wahlkampfzeiten, in denen die EZA von der Politik wie Freiwild als vermeintliche Waffe gegen Migration instrumentalisiert wird, besteht dringender Redebedarf.
Sendungsmacherin Monika Kalcsics wollte mit der speziellen Mechanik des Hörspiels „den Einzelnen stärker in seine Verantwortung ziehen“. Hier kommt niemand umhin, Stellung zu beziehen, jedes Argument wird auf die Waagschale gelegt. Für Kalcsics geht es um mehr als nur um die EZA, sondern „um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen“.
Eine Stunde nach Sendungsende darf abgestimmt werden (oe1.orf.at), das Urteil wird kurz vor dem Mittagsjournal verkündet. Redakteurin Kalcsics Das Ö 1-Hörspielstudio wird zum Gerichtssaal