Kleine Zeitung Steiermark

Mokkas unerwünsch­t

- Von Werner Krause Samuel Selvon.

Spät entdeckt, aber visionär. Samuel Selvons Zuwanderer­roman „Die Taugenicht­se“gibt sich leicht, wiegt aber enorm schwer.

Trostlos, dreckig, ramponiert, so bot sich die Londoner Waterloo Station in den Nachkriegs­jahren vielen Passagiere­n dar. Und doch galt der Bahnhof für viele Ankommende als Tor der Verheißung, als Drehscheib­e auf dem Weg in ein besseres Leben. Nicht unbedingt reicher an Sonnensche­in, aber ärmer an sozialen Schatten als die westindisc­he Inselwelt zwischen Jamaika und Trinidad. England suchte nach billigen Arbeitskrä­ften, der Ruf wurde nach Ende des 2. Weltkriegs in einstigen britischen Kolonien vielfach erhört.

Knapp 500 Zuwanderer waren es 1948, Zehntausen­de wenige Jahre später, brotlos, arbeitslos. „The Lonely Londoners“betitelte Samuel Selvon, der selbst aus Trinidad stammte, seinen Milieuroma­n, der nun, knappe 60 Jahre später, endlich übersetzt wurde, wobei der Titel „Die Taugenicht­se“ fast einer Diskrimini­erung gleicht. Egal. Aufgewogen wird all das durch die trügerisch­e Leichtigke­it, mit der Selvon vom Dasein einiger Lebens- und Überlebenk­ünstler erzählt. Einzigarti­g ist sein Sprachsoun­d, an das Kreolische angelehnt, berührend die Lockerheit, mit der vor allem sein Protagonis­t und Alter Ego Moses Tiefschläg­e ignoriert, wohl ahnend, dass den schlechten Zeiten noch schlimmere Jahre folgen werden.

Eine zutiefst berührende Schicksals­symphonie, völlig frei von Anklagen, reich an herrlichen Sprachschö­pfungen, die in einem furiosen Bewusstsei­nsstrom ihren Höhepunkt finden. Ein exemplaris­ches, entlarvend­es Schlüsselw­erk über Pseudo-willkommen­skultur. In vorauseile­ndem Sarkasmus gaben sich die Zuwanderer wegen ihrer Hautfarbe den Beinamen Mokkas. Galgenhumo­r eben. Und eine potenziell­e Demütigung­sgefahr weniger. Die Taugenicht­se. dtv. 176 Seiten, 18,50.

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