Kleine Zeitung Steiermark

Zweifeln, nicht verzweifel­n

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erlaubst du das denn?‘, oder zu zweifeln: ,Ist das nun wahr oder ein Traum?‘. Und das passierte mir als Bub, als Seminarist, als Priester, als Ordensmann, als Bischof und als Papst. ,Warum ist die Welt denn so, wo du doch dein Leben hingegeben hast? Ist das nicht nur eine Illusion, ein Alibi, um uns zu trösten?‘ (…) Einem Christen, der sich nicht manchmal diese Frage gestellt hat, dessen Glaube nie in eine Krise geraten ist, dem fehlt etwas. Ich kann kein Chinesisch, aber man hat mir gesagt, dass sich das Wort Krise im Chinesisch­en aus zwei Schriftzei­chen zusammense­tzt: einem Zeichen mit der Bedeutung Risiko und einem Zeichen mit der Bedeutung Chance. (…) Der Christ – und das habe ich gelernt – darf keine Angst davor haben, in Krisen zu geraten: Es ist ein Zeichen dafür, dass er vorangeht (…).“as ist vielleicht theologisc­h nicht so formuliert, wie es manche selbst ernannten Hüter des Glaubens sagen würden. Aber aus päpstliche­m Mund hört man von Glaubenszw­eifeln eben nicht alle Tage. Das tröstet.

Zweifel lassen sich nicht einfach wegreden oder wegbeten. Der tschechisc­he Soziologe Tomáˇs Halík, 1978 heimlich zum Priester geweiht, schreibt, er habe sich als junger Mann, als er sich von der vom Regime aufgezwung­enen Ideologie befreit hatte, „zum christlich­en Glauben durchgezwe­ifelt“. In diesem Zusammenha­ng hat der deutsche Jesuit und spätere Kardinal Alois Grillmeier (1910–1998) auf ein merkwürdig­es Verständni­s von „Glaubens-

Dgehorsam“hingewiese­n. Er erzählte gern die Anekdote vom Versehgang des Dorfpfarre­rs bei einer todkranken Frau: „Huberbäuer­in, du glaubst doch alles, was unsere heilige Kirche lehrt?“Die habe mit fester Stimme geantworte­t: „Jawohl, Hochwürden, ich glaube alles, ob’s wahr oder falsch ist!“Kirchliche Dressur hat hier funktionie­rt, bis zuletzt.

Heilige bewundern wir, weil wir Vorbilder im Glauben brau,warum chen, exemplaris­che Menschen, deren Lebens- und Glaubenswe­g Respekt einflößt. Aber sie wären doch keine Menschen, wenn sie keine Fragen und Zweifel gehabt hätten! Solche zu artikulier­en und nicht realitätsf­remd alles zu „schlucken“, was die Kirche lehrt, ist nicht nur gut, sondern der intellektu­ellen Redlichkei­t wegen extrem wichtig.

Mystiker und Glaubensze­ugen wie Teresa von Ávila

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Glaube entsteht auch durch Berührung: „Der ungläubige Thomas“, ein Meisterwer­k von Caravaggio

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