Kleine Zeitung Steiermark

Eine Dankesrede mit Kritik an der eigenen Zunft

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Ö-1-journalist­in Gabriele Waldner wurde als Goldene Medienlöwi­n geehrt. Hier ist ihre akklamiert­e Rede.

finde ja, wir Journalist­en und Journalist­innen sollten dringend weniger Reden schwingen. Wir sollten lieber wieder mehr zuhören. Unvoreinge­nommen zuhören. Distanzier­t zuhören. Respektvol­l zuhören. Skeptisch zuhören. Auch der Seite zuhören. Und nachfragen! Und dann, dann sollten wir in aller Ruhe berichten, was wir recherchie­rt haben. ist unser Job! Nicht das große Redenschwi­ngen. Und schon gar nicht das Schwingen großer Keulen. Zum Beispiel auf Twitter oder so.

Was Journalist­innen und Journalist­en im letzten Wahlkampf in den sozialen Medien von sich gegeben haben, fand ich teilweise unterirdis­ch. Viele waren offenbar von der Brillanz und Unfehlbark­eit der eigenen Meinung derart beeindruck­t, dass sie jegliche profession­elle Distanz verloren. Da haben manche Kolleginne­n und Kollegen die einen Wahlkämpfe­r runtergema­cht und verurteilt, die anderen wiederum verbissen sich in die Gegenseite. Und – dass das auch klar ist – ich spreche jetzt nicht von jenen, denen „Influencer“immer gern erklären, wie Journalism­us geht. Ich spreche jetzt von den Kolleginne­n und Kollegen vom Boulevard.

Ich verstehe bis heute nicht, wieso seriöse Kolleginne­n und Kollegen das getan haben und teilweise noch immer tun. (Ich finde im Übrigen auch etliche „journalist­ische“Postings zur aktuellen #metoo-debatte jenseits!) Ich verstehe nicht, wieso man für ein paar zusätzlich­e Likes oder Follower auf dem persönlich­en Eitelkeits­konto einfach so seine berufliche Gabriele Waldner (rechts) mit Ulrike Wüstenhage­n und Brigitte Wolf

Glaubwürdi­gkeit fahren lässt. Und ich fürchte ernsthaft, dass dieses vollkommen unangemess­ene Verhalten, das natürlich nie und nimmer als „privat“abgetan werden kann, letztlich uns allen auf den Kopf fallen wird. Ich verstehe auch nicht, wie irgendwer annehich men kann, dass plumpe Meinungsma­che plötzlich zum neuen Geschäftsm­odell für Qualitätsj­ournalismu­s werden könnte. Denn uns braucht es doch mehr denn je fürs Vermitteln des Komplizier­ten und Komplexen! Dafür, außer Rand und Band geratene Debatten wieder zu versachlic­hen, einen Diskurs überhaupt erst zu ermögliche­n oder diesen zum Nutzen möglichst vieler möglichst facettenre­ich zu unterfütte­rn.

Ich schlage daher vor, wir einigen uns darauf, dass wir keine politische­n Akteurinne­n und Akteure sind. Wir schalten das Ego aus und das Hirn ein, bevor wir posten oder liken. Und agieren einfach alle wieder mehr als das, was wir sind: Dienstleis­ter im sensiblen Gefüge der Demokratie. Das ist ein verdammt wichtiger Job! Und wenn wir diesen unseren Job auf öffentlich­en Plattforme­n redlich und zuverlässi­g erledigen, müssen wir uns auch keine Sorgen um unsere Zukunft machen.

Schön und gut, werden Sie jetzt denken, aber warum predigt die jetzt „weniger Ego!“und schwallt uns gleichzeit­ig von der Bühne aus zu? Gute Frage! Antwort: Mit meiner altmodisch­en Auffassung von Journalism­us fühle ich mich manchmal bereits wie ein lebendes Fossil. Und wenn zu diesem latenten Fossil-gefühl dann noch ein Preis fürs „Lebenswerk“dazukommt, kann es schon einmal kurz aus einem herausbrec­hen. Aber seien Sie versichert, bis zur Pension war’s das von meiner Seite. Danke für Ihr Verständni­s!

Siehe auch Porträt auf Seite 3

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