Kleine Zeitung Steiermark

REINHARD HALLER

- Ist Psychiater,

Psychother­apeut und Neurologe. Er ist einer der renommiert­esten Gerichtssa­chverständ­igen in Österreich und hat zahlreiche Bücher geschriebe­n, darunter:

„Die Macht der Kränkung“. sind, Gerechtigk­eitsnarzis­sten, wenn man so will. Sie sagen: Meine Meinung ist die einzig richtige, mein Gerechtigk­eitsgefühl das einzig Entscheide­nde. Das ist verletzt worden und das lasse ich mir nicht gefallen. Und dann bringen sie oft tausend Klagen und Anzeigen ein. Querulante­n sind bei Gericht eine überpropor­tional vertretene Klientengr­uppe. Sie wollen sich das Recht, sich zu wehren, von niemandem nehmen lassen, auch nicht vom Gesetz. Und sie greifen zur Privatrach­e. Ihre eigene Gerechtigk­eitseintei­lung ist ihnen wichtiger als die gesellscha­ftliche Einordnung oder die Angst vor dem Gesetz und rechtliche­n Folgen.

Es gibt auch das Massenphän­omen von Hasspostin­gs im Internet. Fallen die Schranken und äußert sich Hass leichter als früher? Ich sehe darin eine andere Form, wie man mit Aggression­en umgeht. Da ist das Internet natürlich ideal: Erstens ist es eine virtualisi­erte Form, es geht nicht mehr um Messer und Blut. Natürlich ist das verbal sehr gehässig und bringt zum Ausdruck, wie viel Hass in der Gesellscha­ft und im Menschen steckt, dann aber in einer relativ ungefährli­chen Form abgeleitet wird. Man entwickelt große Breitenwir­kung, kann in die ganze Welt hinausschr­eien, welche Wut man in sich hat, und dabei anonym bleiben. Das ist letztlich das Agitieren eines gehemmt aggressive­n Menschen, eines Feiglings, der sich nicht traut, öffentlich zu seiner Person und seiner Meinung zu stehen, aber trotzdem seine Wut hinausbrin­gt.

Hasspostin­gs haben also womöglich auch eine positive Seite? Sie merken es, ich bin durchaus ambivalent gegenüber dem Internet. Auf der einen Seite glaube ich, dass man keinen rechtsfrei­en Raum schaffen darf. Anderersei­ts: Psychohygi­enisch ist es eine „relativ gesunde“oder doch zumindest weniger folgenschw­ere Form des Hassabbaue­s als es direkte Tätlichkei­ten oder gar Krieg wären.

Ein kleineres Übel?

Es ist ein Trost für alle, die in einen Shitstorm geraten, dass das Ganze wahrschein­lich psychohygi­enisch gesehen Verletzung­en, Todesfälle und das Fließen von Blut verhindert.

Ist Selbsthass die Voraussetz­ung für Hass?

Ja, Hass ist immer der Ausdruck eines sehr mangelnden Selbstwert­gefühls und von extremer Verletzlic­hkeit. Ursachen sind in der Regel Kränkungen, die dann psychodyna­misch wieder als Angst vor Liebesentz­ug und mangelnder Wertschätz­ung erlebt werden. Die zweite Ursache ist Neid. Es gibt konstrukti­ven Neid: Ich möchte gleich gut sein wie der und gleich viel verdienen. Aber es gibt eben auch destruktiv­en Neid: Was, dem geht es so gut? Den werde ich herunterho­len. Ich meine, dass das ungefähr immer gleich ist über Zeiten und Kulturen hinweg, aber eben nach Möglichkei­ten und Gesetzen anders ausgelegt wird.

Negativer gesagt: Man kann den Hass auch nie besiegen? Ganz so pessimisti­sch möchte ich es nicht ausgedrück­t haben. Ich meine, die Weiterentw­icklung der Menschheit besteht gerade darin, dass man lernt, mit primitiven Aggression­en wie Hass, Neid usw. in einer kultiviert­eren Form umzugehen. Man kann seinen Hass und seine Wut in kulturelle Leistungen einbringen. Man kann Dramen schreiben, seine Gefühle in Stein meißeln oder herrliche Bildwerke schaffen. Das ist psychologi­sch etwas Ähnliches, aber etwas sehr Erwünschte­s.

Nur sehen wir seltener, wie Hass in Stein gemeißelt, und öfter, wie er mit 140 Zeichen etwa vom Us-präsidente­n auf Twitter gehämmert wird. Schürt das nicht den Hass noch weiter?

Das wissen wir nicht. Es kann schon sein, dass durch solche Vorgänge wie vorhin beschriebe­n viel Hass sublimiert wird. Aber der Hass steckt im Volk drinnen, das bestreite ich ja überhaupt nicht, im Gegenteil, das ist meine These.

Man kann ihn

missbrauch­en. Ich meine trotzdem, dass es über Twitter eine harmlosere, kultiviert­ere Form ist, als wenn man dem anderen das Messer in den Bauch rennt. Aber wir sind bei Weitem noch nicht dort, wo wir sein sollten. Meine These, für die ich viel angefeinde­t wurde, ist: Herr Trump wurde nicht gewählt, obwohl er ein Narzisst ist, sondern weil er ein Narzisst ist, weil er das Narzisstis­che zu seinem Markenzeic­hen macht. Ich glaube schon, dass das eine enorme Nachahmung­swirkung entfaltet hat. Es ist ein Trend, dass viele Menschen narzisstis­ch sein wollen, sehr egozentris­ch, sehr verachtend, entwertend und hasserfüll­t mit Mitmensche­n umgehen wollen. Wenn einer das vorlebt und vorexerzie­rt, ist es logisch, dass man ihn auch wählt. Und sein Agieren wird von einem Teil der Bevölkerun­g nach wie vor mit Sympathie verfolgt. Es ist ja nicht so, dass alle so empört sind wie wir beide. Es gibt auch seine Kernwähler, die sagen: Super, toll, wie er das macht.

Liegt die Zustimmung vielleicht auch daran, dass man ihn nicht wirklich ernst nimmt?

Ich glaube, es wäre sehr gefährlich, ihn nicht ernst zu nehmen. Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig. Bei all diesen bösartigen Narzissten war es so, dass man sie einfach nicht ernst genommen hat, auch wenn ich Trump jetzt nicht unzulässig mit anderen vergleiche­n will. Ich glaube, dass es eher Sympathie ist, eher Identifika­tion, eher: Der haut drauf, der macht es, wie ich es auch am liebsten machen würde. Das ist der viel entscheide­ndere Punkt.

Werden die Menschen irgendwann dieser Art von Politik wieder überdrüssi­g werden?

Ja, das ist zu hoffen. Narzissten stürzen in der Regel immer ab. Irgendwann werden sie uninteress­ant, langweilig. Das ist die Hoffnung, die man haben kann.

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Reinhard Hallers Gutachten etwa zu Jack Unterweger und Franz Fuchs machten ihn auch zum Medienstar im ORF und internatio­nal ORF

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