Der Evolution der Harmonika auf der Spur
Mit sieben Jahren hatte er seine Karriere als Harmonikaspieler eigentlich beendet. Später aber entwickelte sich Wolfram Märzendorfer (69) zum Fachmann für die sozialhistorische Entwicklung des Instruments. Nun wurde der Gründer des Harmonikazentrums in Italien ausgezeichnet.
An seinen aktiven Erstkontakt mit dem Instrument hat Wolfram Märzendorfer keine sonderlich guten Erinnerungen: „Mit fünf Jahren habe ich zum Harmonikaspielen begonnen. Wirklich gerne hab ich das aber nicht gemacht, mit sieben habe ich meine Karriere bereits wieder beendet.“Umso erstaunlicher ist, was aus dem Zusammenspiel zwischen Märzendorfer und Harmonika geworden ist: Der gebürtige Veitscher gründete nicht nur das Harmonikazentrum in Graz. Jüngst wurde ihm eine besondere internationale Ehre zuteil. Der 69-Jährige erhielt in Castelfidardo, der Heimat des italienischen Akkordeonbaus, eine Auszeichnung für seine sozialhistorischen Forschungen über die Harmonika.
Erzählt der Grazer von eben dieser Evolution des Instruments, taucht man als Zuhörer unweigerlich in eine spannende Welt ein: „Es wird oft übersehen, dass Wien am Anfang des 19. Jahrhunderts die Erfinderstadt beim Akkordeonbau war, es gab dort damals eine Unzahl von Werkstätten“, so Märzendorfer. „Der evolutionäre Vorteil war, dass man mit der Harmonika Melodie und Begleitung auf einmal spielen konnte.“Und weil selbsttätiges Musizieren in der Zeit, in der es weder Radio noch Schallplatten gab, beliebt war, startete der Erfolgslauf des Zuginstruments.
Dennoch: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde laut Märzendorfer das Instrument „nicht wirklich ernst genommen“. Erst im späten 20. Jahrhundert kam es zum positiven Imagewandel – seither wird Akkordeon weltweit auch an Hochschulen unterrichtet. „Bis 1950 herrschte beim Akkordeonbau die reine Anarchie“, schildert der 69-Jährige, „andere Instrumente machten auch eine Evolution durch, am Ende des Prozesses stand aber stets eine standardisierte Entwicklung“. Genau das war bei der Harmonika nicht der Fall – deshalb gibt es auch eine „absolute Vielfalt der Formen, die Ausnahmen sind hier die Regel“.
Dieses Alleinstellungsmerkmal war der Grund, warum Märzendorfer 2002 das Harmonikazentrum gründete. Ziel war und ist dabei, besonders die Sozialgeschichte hinter dem Instrument zu erforschen. Beeindruckende Zahlen hat der Grazer im Talon: „Millionen Instrumente wurden in der Blütezeit bis 1920 nach Übersee exportiert, als Großfirmen in Italien und Deutschland die Produktion übernahmen.“
selbst wurde zwei Jahre lang vom Bildungsministerium gefördert. Seither kommt die Förderung von Stadt und Land. „Das macht gerade so viel aus, dass die Fixkosten gedeckt sind“, so Märzendorfer, „zusätzliche Forschungen sind unmöglich.“Geschweige denn, die bestehende Instrumentensammlung auszubauen. Man könne nur auf private Unterstützer hoffen.
Einen Wunschtraum hat der 69-Jährige: „Die Ehrung in Italien ist Ansporn, länderübergreifend die Bedeutung von Österreich, Deutschland und Italien bei der Harmonikaentwicklung aufzuarbeiten.“