Kleine Zeitung Steiermark

EVA MENASSE

-

wie man literarisc­h mit diesen Themen umgeht. Amos Oz hat einmal erklärt, er habe immer davon geträumt, Schriftste­ller zu werden, aber er habe im Kibbuz gelebt und nichts erlebt, außer Tomaten pflanzen, Tomaten ernten und am Abend singen. Oz hat geglaubt, um Schriftste­ller werden zu können, müsse man wie Hemingway in Afrika Löwen jagen.

Aber dann?

Hat er Sherwood Andersons Roman „Winesburg, Ohio“gelesen, in dem es um den Alltag von ganz normalen Leuten in einer ganz normalen Umgebung mit ganz normalen Problemen geht. Amos Oz hat erzählt, dass er nach diesem Buch verstanden habe, dass auch er über sein Leben schreiben kann. Auch die schreibend­e Frau muss sich sagen: Ich muss nicht wie Joseph ins Herz der Finsternis vordringen, ich arbeite mit dem, was vor mir liegt. Das wird auch leichter, seit immer mehr Frauen schreiben, und das Feld der Literatur nicht nur die Männer beackern.

Was geht Ihnen bei der aktuellen Sexismus-debatte durch den Kopf, die von Hollywood bis zu Peter Pilz reicht?

Weil die Debatte so überfällig war, wird sie jetzt so lawinenhaf­t geführt. Wenn sich manche Männer nun über die „Hysterie“beklagen, muss ich, da bin ich zu sehr Frau, schon kontern: Weil es sich so lange angestaut hat, bricht es voll heraus. Bei der Pilziade ist die Frage uninteress­ant, ob der Umstand der sexuellen Belästigun­g bekannt war und jetzt aus politische­n Gründen hervorgeho­lt wird. Sorry, Herr Pilz, aber es geht um Die Wiener Autorin Eva Menasse (47) nähert sich in ihrem nun ausgezeich­neten Erzählband „Tiere für Fortgeschr­ittene“(Kiepenheue­r & Witsch), ausgehend von kuriosen Tiermeldun­gen, menschlich­en Verhaltens­weisen an. Die in Berlin lebende Halbschwes­ter von Schriftste­ller Robert Menasse erhielt heuer bereits den Friedrich-hölderlinp­reis. eine andere Frage: Haben Sie’s gemacht oder nicht? Das Wann ist irrelevant. Wenn man Frauen sexuell belästigt, hat das irgendwann Konsequenz­en. Mich erstaunen die Männer, die jahrelang Frauen begrapscht haben und nun bass erstaunt darüber sind, dass sie deswegen Probleme bekommen, weil die Frauen das nicht wollten.

Was denken Sie über den Hashtag „Metoo“in sozialen Netzwerken, mit dem Frauen signalisie­ren, dass sie Opfer von sexueller Gewalt wurden?

Die Idee ist gut, dass man durch das massenhaft­e Melden das Ausmaß sichtbar macht. Meine beste Freundin hat völlig recht, dass sie zornig wird, wenn sie hört, es sei jetzt aber genug mit der Diskussion. Sie erklärt dann, dass manche Diskussion­en erst nach zehn Jahren zu eiconrad ner wirklichen Veränderun­g der Verhältnis­se führen.

Sie sagen, dass Sie mehr Erkenntnis auf den Wissenscha­ftsseiten in Zeitungen finden als im Politiktei­l. Wie das?

Ich finde die Politikber­ichterstat­tung, egal, ob in Österreich oder Deutschlan­d, ziemlich fad. Es wird zu viel berichtet, zu wenig analysiert. Aber ich möchte die Welt verstehen, warum sie so ist, wie sie ist.

Haben Sie eine These?

Je grober eine These, desto falscher ist sie. Ich finde, dass sich durch die Digitalisi­erung unsere Wahrnehmun­g in den letzten fünf, sechs Jahren radikal geändert hat. Wir können nicht mehr gut unterschei­den zwischen jetzt und früher, nah und fern. Auch vor 20 Jahren haben wir von einem schrecklic­hen Erdbeben am anderen Ende der Welt erfahren, aber so teilhaben, das konnten wir nicht. Dieses Sharen und Liken führt dazu, dass uns alles wahnsinnig auf den Pelz rückt und wir das Gefühl haben, dass Amerikas Rust Belt gleich ums Eck ist.

Ihr Vater ist jüdischer Herkunft, mit einem Kindertran­sport wurde er nach England geschickt, kurz bevor die Nazis die Massenvern­ichtungsma­schine anwarfen. Es heißt, dass erst die Enkel der Holocaust-generation viel aufarbeite­n. Sie als Tochter aber auch.

Na ja, ich bin die zweieinhal­bte Generation. Die wahren Opfer waren ja meine Großeltern. Somit bin ich diese Aufarbeitu­ngsgenerat­ion. Das apert in meinem Schreiben auch immer heraus. Mein Vater war acht, als er von seinen Eltern wegmusste. Ich frage mich, wie man das als Mutter überlebt. Mein Sohn ist fast elf. Diese existenzie­llen Fragen gibt es heute auch. Was geht in einer syrischen Mutter vor, die ihr Kind losschickt, weil sie hofft, dass es ihr Kind allein leichter schafft?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria