Von Manuela Swoboda
Sie haben an einer Studie mitgearbeitet, bei der 1000 Männer im Alter von 30 bis 60 Jahren befragt und tiefenpsychologisch interviewt wurden. Was war das Thema?
RAINER PFUHLER: Der Mann. Wie ist sein Lebensgefühl heute? Welche Haltungen und Werte hat er? Welche Leidenschaften und Ängste bewegen ihn? Salopp gesagt: Wie ticken Männer heute?
Was kam dabei heraus?
Das überragende Thema war, dass der Mann im Moment seine Positionierung in der Gesellschaft verloren hat. Er weiß nicht mehr, welche Rolle er einnehmen soll. Er ist unsicher, was seine Werte betrifft. Die meisten konnten auch nicht sagen, was für sie typisch männlich ist, trauten es sich auch nicht zu sagen, denn sie erklärten, das könne man heute ja gar nicht mehr machen. Sie waren alle politisch sehr korrekt. Konkret wurden die befragten Männer erst, als wir tiefenpsychologisch bohrten.
Und?
Da werden Sie jetzt lachen: Autos, Fußball, Sport. Das sind die Themen der Männer, bei denen sie sich als Mann fühlen. Als typisch männlich gilt auch, wenn man sich eine Pizza bestellt und sich damit vor den Fernseher ins Wohnzimmer hockt und direkt aus der Schachtel isst. Aber so simpel ist es letztlich doch nicht. Der Mann hat sich in den letzten Jahrzehnten zurückgesetzt gefühlt, weil es in der öffentlichen Diskussion immer nur um die Emanzipation der Frauen ging. Der Mann kam immer nur als Zuschauer vor.
Oder als Täter, wie sich jetzt bei der „#Metoo“-debatte über Sexismus zeigt?
Ich bin erschüttert darüber, was manche meiner Artgenossen verbrechen. Die „#Metoo“-debatte bringt aber auch das Männer-dilemma auf den Punkt. Denn neben der allgemeinen Verunsicherung des Mannes kommt jetzt auch noch die Verunsicherung dazu, dass viele nicht mehr wissen, was sie zu einer Frau sagen dürfen und was nicht. „Oh, Sie haben aber ein schönes Kleid!“– Geht das noch, oder ist das schon Sexismus? Aber die Grundregeln sind in unseren Breiten sehr wohl bekannt. Der Mann sollte sich einfach benehmen und sich an eine gute Erziehung halten.
Was ist schiefgelaufen, wenn nach Jahrzehnten der Emanzipation der Frauen Sexismus wieder ein so starkes Thema ist?
Der Mann in seinem Rollenverständnis kam in der Emanzipationsdebatte so gut wie nicht vor, es ging nur um die Frauen. Es hieß nur: Der Macho ist abgeschafft, jetzt kommt der Softie, später kam noch der Metrosexuelle dazu. Die Männer wurden in irgendein Eck gestellt. Im Unbewussten waren die alten Rollenbilder aber noch da. Ich gestehe, dass mich die „#Metoo“-debatte auch selbst irritiert und ich mich mittlerweile öfter frage: Ist das als Kompliment noch okay oder ist das schon zu viel?
Also kennen sich mittlerweile auch jene Männer nicht mehr aus, die sich zu benehmen wissen? Weil diese Männer, die die rote Linie ohnehin nie überschritten haben, plötzlich eine Linie be- die jetzt ausufert und immer breiter wird.
Ist die Sexismus-debatte notwendig oder wird sie hysterisch geführt?
Definitiv notwendig, weil Beispiele dabei sind, bei denen man sagt: Das geht nicht! Ich habe aber den Eindruck, dass die Debatte mittlerweile übertrieben wird, was auch bei Frauen schon dazu führt, dass sie sagen: „Jetzt ist genug! Wir leben alle miteinander.“Die Heftigkeit, mit der mitunter diskutiert wird, treibt Mann und Frau eher auseinander. Die Diskussion kann auch leicht in amerikanische Verhältnisse führen: Da traut man sich dann nicht mehr mit einer Frau allein in den Lift.
Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon, der wegen sexueller Belästigung zurücktre- ten musste, erklärte sinngemäß, dass er sich für sein Verhalten entschuldige, aber früher habe es eine andere Kultur gegeben. Solche Sätze sind eine absolute Unverschämtheit: Nicht anfassen! Nein ist Nein! Das galt auch früher, das galt auch in Zeiten, in denen Frauen noch nicht einmal ein eigenes Konto haben durften oder den Mann um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie arbeiten gehen wollten.
Der Macho ist out, der Softie nicht in, dazwischen herrscht allgemeine Verunsicherung durch die „#Metoo“-debatte: ein Interview mit einem Männerversteher zum heutigen Internationalen Männertag.
Die amerikanische Neuropsychiaterin Louann Brizendine kommt in ihrem Buch „Das männliche Gehirn“zum Schluss, dass Männer eigentlich nette Wesen seien. Allerdings hätten sie zu viel „Testosteron im Tank“und würden in Situationen der Männerkonkurrenz heftige Hormonwellen durchleben. Hat sie recht? Sie spitzt herrlich zu, deswegen sind ihre Bücher auch wundermerken,