Cosa nostra
Wie lautet der bekannte, leicht abgewandelte Spruch? In vino vanitas – in der Vergänglichkeit steckt die Wahrheit (oder so ähnlich). Der Zufall will es, dass ich nur wenige Tage nach dem historischen Debakel der Squadra Azzurra in Mailand bin, wo noch die Tränenseen von Gianluigi Buffon stehen, sich die Italiener am schwedischen Riegel die Zähne ausgebissen, sich die Forsberge als unüberwindlicher denn die Alpen erwiesen haben.
Das Land ist hier in der Poebene (Oxymoron!) so flach wie eine vom Konditor glatt gestrichene Tortenglasur. Die Luft steht, als wäre sie unter einer überbackenen Käseschicht, und auch die Menschen sind in einer Schockstarre milanesa. Erstmals seit 60 Jahren wurde die Qualifikation für eine Weltmeisterschaft verpasst, und selbst dem neutralen Fan stellt sich die Frage, was das in Russland für eine WM werden soll – ohne die Niederländer, ohne Italien? Dafür mit Schweden und der Schweiz … ie meisten Kommentatoren machen für das blaue Desaster den inzwischen zurückgetretenen, glücklosen, auch wenn sein Name anderes verspricht, Trainer Gian Piero Ventura verantwortlich, die Mumien im Verband, eine seit dem Titelgewinn 2006 heillos überalterte Mannschaft. Analysten erkennen, dass der Nachwuchs fehlt. Was die Franzosen in Übermaß besitzen, Pogba, Dembélé, Martial, Lacazette, Mbappé, und womit auch die Deutschen, Belgier und neuerdings sogar Engländer gesegnet sind, weshalb die auch den attraktivsten
DFußball spielen, fehlt den Italienern völlig, ein Weltklasse-nachwuchs. Es mangelt an Strukturen, Ausbildungszentren und Konzepten. talien ist vielleicht das schönste Land der Welt, reich an Kultur, fantastische Küche, klimatisch begünstigt. Touristen lieben es. Menschen, die hier arbeiten, sehen das nicht ganz so rosig: Nichts funktioniert, vieles wird verschlampt, alle sind korrupt. Dazu die Mafia, ganz Kalabrien ist eine einzige Giftmülldeponie, im Mittelmeer soll man über hundert Schiffe mit Giftmüll versenkt haben, und in der Politik werden einem Achtzigjährigen mit schlecht gefärbten Capelli und vier Kilogramm Botox im Gesicht, Silvio Berlusconi nämlich, wieder einmal beste Chancen eingeräumt. n vino vanitas. Deutschland hat nach der Em-schlappe 2000 (Vorrunden-aus als Gruppenletzter) die richtigen Lehren gezogen und die Bundesligisten zu Ausbildungszentren verpflichtet. Selbst Österreich bringt seit der Errichtung der Nachwuchsakademien kontinuierlich neue Hoffnungsträger hervor. Auch Italien wird sich wieder hochrappeln, das Land ist reich gesegnet. Vielleicht braucht es diesen Essig im Cappuccino, geht vom Fußball ein Umdenken auch in anderen Bereichen aus?
Denn mancherorts erinnert selbst das reiche, stolze, schöne Mailand an den tiefsten Ostblock. Darum Forza – auch wenn die in Pforzheim das noch besser können.
IIFranzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, ist Schriftsteller und Sportfan.