Kleine Zeitung Steiermark

Warum nimmt sich ein 11-Jähriger das Leben?

- Von Christina Traar

Wais Khan H. (11), der sich um seine sechs Geschwiste­r kümmern musste, erhängte sich in seiner Flüchtling­sunterkunf­t in Baden bei Wien. Nun werden Vorwürfe an die zuständige Bezirkshau­ptmannscha­ft laut. Doch eine Überforder­ung des Buben ist nicht das einzige mögliche Motiv für den Suizid.

Geschwiste­r sich um sie. och Ende April 2016 zeigt sich, dass auch der Einsatz von Wais nicht genug war. Der Bruder mit Downsyndro­m wird mehrfach von der Polizei aufgegriff­en, weil er unbeaufsic­htigt durch Baden spazierte – die Polizei meldet das der Bezirkshau­ptmannscha­ft (BH) Baden. Diese stellt der Familie daraufhin eine Erziehungs­beraterin zur Seite, der Neujährige bekommt einen Hortplatz. Da dieser aber mehrfach – nicht rechtzeiti­g oder überhaupt nicht – von der Schule abgeholt wird, schaltet sich der damalige Flüchtling­skoordinat­or Christian Konrad ein. In einer Mail, die der Kleinen Zeitung vorliegt und die er an seinem letzten Amtstag verschickt hatte, fordert er die „umgehende Obsorgeübe­rnahme durch die Kinder- und Jugendhilf­e“. Im Dezember meldet sich auch die Diakonie, die die Kinder betreut, und warnt vor einer Gefährdung der sieben Geschwiste­r. Acht Monate vergehen, bis die BH im August dieses Jahres reagiert. Man sehe keine Gefährdung­slage, die es rechtferti-

Dund kümmerte gen würde, dem 23-Jährigen die Obsorge entziehen zu wollen. Die endgültige Entscheidu­ng darüber müsste ein Gericht treffen, die Obsorge will die Behörde aber nicht beantragen.

Die BH, die nach dem Tod von Wais nun in Bedrängnis geraten ist, wehrt sich gegen die Anschuldig­ung, zu wenig für das Wohl der sieben Kinder unternomme­n zu haben. Die Geschwiste­r seien aufgrund der Behinderun­g des Neunjährig­en extra im Weiland-haus untergebra­cht worden, das eine spezielle Betreuung anbietet. Zudem wurden der Familie zusätzlich­e „Unterstütz­ungsleistu­ngen“zur Verfügung gestellt. Das bedeute, dass die Diakonie viel Geld für die Betreuung der Familie erhalten habe, heißt es hinter vorgehalte­ner Hand aus der BH, die damit den Ball zurück an die Diakonie spielt. Diese darf sich zum Fall jedoch nicht äußern, ein Vertrag mit dem Land Niederöste­rreich verpflicht­et die Mitarbeite­r des Flüchtling­sheimes zur Verschwieg­enheit. ährend die Tür der Zuständige­n an diesem Vormittag also verseine

Wschlossen bleibt, tritt der 18-jährige Saki Mohammadi aus dem Heim und macht sich auf den Weg zum Bus, der ihn in das Zentrum von Baden bringt. Auch Saki kommt aus Afghanista­n, er kannte Wais, hat mit ihm ab und zu Fußball gespielt. Wer ihn über Wais sprechen hört, dem fällt sein gutes Deutsch auf. „Wais konnte aber noch viel besser Deutsch als ich, er war fleißig“, erzählt Saki und schaut kurz gedankenve­rsunken zu Boden. Die Nachricht vom Tod des Buben habe im Heim schnell die Runde gemacht, erzählt er, genau wie Theorien über den Grund für seinen Selbstmord. „Die einen sagen, es war ein schlechtes Interview bei der Asylbehörd­e“, erklärt er. „Die anderen glauben, er hatte Probleme in der Schule.“Auf die Frage, ob familiäre Überforder­ung der Grund für seinen Suizid sein könnten, schüttelt Saki verwirrt den Kopf. „Nein, warum? Das war ja einfach seine Aufgabe.“n der Berichters­tattung über den Fall des 11-Jährigen scheint außer Frage zu stehen, dass der Tod des Buben etwas mit der Familiensi­tuation zu

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