Kleine Zeitung Steiermark

„Meine Note: Thema verfehlt“

- Von Thomas Götz

Stefan Hopmann, Professor für Bildungswi­ssenschaft­en an der Universitä­t Wien, sieht mehr Schwächen als Stärken im Programm von ÖVP und FPÖ zur Reform der Bildung.

Herr Professor Hopmann, wie beurteilen Sie die Maßnahmen, die das Koalitions­papier zur Besserung der Deutschken­ntnisse der Schüler enthält?

STEFAN HOPMANN: Es ist viel sinnvoller, billiger und effektiver, die Kinder ganz normal am Unterricht teilnehmen zu lassen und dort zu fördern, als mit Vorschulkl­assen zu operieren.

Warum nicht Vorschulkl­assen? Dahinter steckt ein Irrtum: erst bringe ich jemandem Deutsch bei, dann kann er am Unterricht teilnehmen. Aber es handelt sich in Wahrheit um gar kein Sprachprob­lem. 80 Prozent dieser Probleme sind schlicht und einfach der Armut geschuldet, kulturelle­r, sozialer, ökonomisch­er Armut. Die bekämpfe ich nicht durch Sprachkurs­e. Am häufigsten scheitern ja gar nicht Kinder mit Sprachprob­lemen, sondern einheimisc­he Kinder. Vorschulkl­assen, da ist sich die einschlägi­ge Literatur einig, sind ziemlicher Unsinn.

Auch dann, wenn kaum ein Kind in der Klasse Deutsch spricht? Dann brauche ich zusätzlich­e Lehrkräfte. Die Vorstellun­g, ich könnte einem Haufen fremdsprac­higer Kinder ohne Kontakt zu deutschspr­achigen Kindern in kurzer Frist Deutsch in den Kopf hauen, ehe der Unterricht anfangen kann, ist Unsinn.

Wie soll dieser Unterricht funktionie­ren? Das Modell „eine Lehrerin, eine Klasse“ist falsch, 19. Jahrhunder­t. Ich brauche eine Binnendiff­erenzierun­g, themenspez­ifische Förderung.

Warum, glauben Sie, steht die Vorschule trotzdem im Papier? Das ist eine Lieblingsi­dee von Sebastian Kurz. Ich glaube, da geht es um etwas, was ich Migrantenp­hobie nenne. Diese Angst vor den bösen Migranten ist ein seriöses Problem in vielen Schulen. Das wird noch schlimmer werden, wegen der anderen Pläne dieser Koalition.

Welche Pläne meinen Sie?

Die sogenannte „Output-orientiert­e Schulsteue­rung“führt erfahrungs­gemäß zu einer massiven Fragmentie­rung des Schulsyste­ms. Es ist ein Irrglaube, man könnte anhand von Schülerlei­stungen beurteilen, was gute Lehrer sind. Warum? Weil der Lernzuwach­s nur zu einem kleineren Teil von der Schule abhängt. Noch viel schlimmer ist es, wenn die besten Schulen und Lehrer auch noch publik gemacht werden. Dann gehen die guten Lehrer an Schulen, wo es einfacher ist, guter Lehrer zu sein, die Eltern gehen zu Schulen, wo es einfacher ist, guter Schüler zu sein. Die öffentlich­e Schule wird zur Restschule für die, die nicht abhauen konnten.

Was halten Sie von der leistungsd­ifferenzie­rten Entlohnung für Lehrer?

Das ist doch das gleiche Pro- blem. Was ist die Leistung, wenn ich nicht zuverlässi­g messen kann, welchen Anteil eine Lehrkraft am Lerngewinn der Schüler hat? Mehr Lohn bei besserer Lernleistu­ng führt zu einer massiven Lehrerfluk­tuation. Arme Kinder bekommen schlechte Lehrer und Schulen.

Haben Sie auch Positives gefunden in dem Papier?

Ja, vieles. Überrascht Sie das jetzt? Ein einheitlic­hes Budgetmode­ll ist dringend notwendig, weil jetzt zu viel versickert auf dem Weg vom Budget zur Schule. Ich möchte nur sehen, wie sie das durchsetze­n wollen. Die Aufwertung der Kindergart­enausbildu­ng ist sehr wichtig. Die pädagogisc­hen Hochschule­n sind zwar nicht der richtige Ort, weil alle relevante Kindergart­enforschun­g, die es in Österreich gibt, an Universitä­ten untergebra­cht ist, aber die Aufwertung ist sinnvoll. Die Betonung der Wichtigkei­t der Lehre finde ich sehr gut. Dass wir ein einheitlic­hes Verwaltung­s- und Dienstrech­t brauchen, stimmt. Leider machen sie wieder den josephinis­chen Fehler, der in Österreich so populär ist: Sie meinen, genau zu wissen, was für alle richtig ist, und schreiben es dann allen vor, anstatt zu sagen, jede Schule, jeder Kindergart­en ist anders.

Ethikunter­richt, eine gute Idee? Das ist wieder so eine Drohgebärd­enveransta­ltung. Ich bin nicht gegen Ethikunter­richt.

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