„Meine Note: Thema verfehlt“
Stefan Hopmann, Professor für Bildungswissenschaften an der Universität Wien, sieht mehr Schwächen als Stärken im Programm von ÖVP und FPÖ zur Reform der Bildung.
Herr Professor Hopmann, wie beurteilen Sie die Maßnahmen, die das Koalitionspapier zur Besserung der Deutschkenntnisse der Schüler enthält?
STEFAN HOPMANN: Es ist viel sinnvoller, billiger und effektiver, die Kinder ganz normal am Unterricht teilnehmen zu lassen und dort zu fördern, als mit Vorschulklassen zu operieren.
Warum nicht Vorschulklassen? Dahinter steckt ein Irrtum: erst bringe ich jemandem Deutsch bei, dann kann er am Unterricht teilnehmen. Aber es handelt sich in Wahrheit um gar kein Sprachproblem. 80 Prozent dieser Probleme sind schlicht und einfach der Armut geschuldet, kultureller, sozialer, ökonomischer Armut. Die bekämpfe ich nicht durch Sprachkurse. Am häufigsten scheitern ja gar nicht Kinder mit Sprachproblemen, sondern einheimische Kinder. Vorschulklassen, da ist sich die einschlägige Literatur einig, sind ziemlicher Unsinn.
Auch dann, wenn kaum ein Kind in der Klasse Deutsch spricht? Dann brauche ich zusätzliche Lehrkräfte. Die Vorstellung, ich könnte einem Haufen fremdsprachiger Kinder ohne Kontakt zu deutschsprachigen Kindern in kurzer Frist Deutsch in den Kopf hauen, ehe der Unterricht anfangen kann, ist Unsinn.
Wie soll dieser Unterricht funktionieren? Das Modell „eine Lehrerin, eine Klasse“ist falsch, 19. Jahrhundert. Ich brauche eine Binnendifferenzierung, themenspezifische Förderung.
Warum, glauben Sie, steht die Vorschule trotzdem im Papier? Das ist eine Lieblingsidee von Sebastian Kurz. Ich glaube, da geht es um etwas, was ich Migrantenphobie nenne. Diese Angst vor den bösen Migranten ist ein seriöses Problem in vielen Schulen. Das wird noch schlimmer werden, wegen der anderen Pläne dieser Koalition.
Welche Pläne meinen Sie?
Die sogenannte „Output-orientierte Schulsteuerung“führt erfahrungsgemäß zu einer massiven Fragmentierung des Schulsystems. Es ist ein Irrglaube, man könnte anhand von Schülerleistungen beurteilen, was gute Lehrer sind. Warum? Weil der Lernzuwachs nur zu einem kleineren Teil von der Schule abhängt. Noch viel schlimmer ist es, wenn die besten Schulen und Lehrer auch noch publik gemacht werden. Dann gehen die guten Lehrer an Schulen, wo es einfacher ist, guter Lehrer zu sein, die Eltern gehen zu Schulen, wo es einfacher ist, guter Schüler zu sein. Die öffentliche Schule wird zur Restschule für die, die nicht abhauen konnten.
Was halten Sie von der leistungsdifferenzierten Entlohnung für Lehrer?
Das ist doch das gleiche Pro- blem. Was ist die Leistung, wenn ich nicht zuverlässig messen kann, welchen Anteil eine Lehrkraft am Lerngewinn der Schüler hat? Mehr Lohn bei besserer Lernleistung führt zu einer massiven Lehrerfluktuation. Arme Kinder bekommen schlechte Lehrer und Schulen.
Haben Sie auch Positives gefunden in dem Papier?
Ja, vieles. Überrascht Sie das jetzt? Ein einheitliches Budgetmodell ist dringend notwendig, weil jetzt zu viel versickert auf dem Weg vom Budget zur Schule. Ich möchte nur sehen, wie sie das durchsetzen wollen. Die Aufwertung der Kindergartenausbildung ist sehr wichtig. Die pädagogischen Hochschulen sind zwar nicht der richtige Ort, weil alle relevante Kindergartenforschung, die es in Österreich gibt, an Universitäten untergebracht ist, aber die Aufwertung ist sinnvoll. Die Betonung der Wichtigkeit der Lehre finde ich sehr gut. Dass wir ein einheitliches Verwaltungs- und Dienstrecht brauchen, stimmt. Leider machen sie wieder den josephinischen Fehler, der in Österreich so populär ist: Sie meinen, genau zu wissen, was für alle richtig ist, und schreiben es dann allen vor, anstatt zu sagen, jede Schule, jeder Kindergarten ist anders.
Ethikunterricht, eine gute Idee? Das ist wieder so eine Drohgebärdenveranstaltung. Ich bin nicht gegen Ethikunterricht.