„Wahltermine machten es Besitzstandswahrern leicht, alle Reformkonzepte in den Schubladen verschwinden zu lassen.“
Noch bevor die türkis-blauen Koalitionsverhandler den ersten Gang zu ihrem groß propagierten „Neustart der Republik“einlegen konnten, droht die Gefahr, statt rasch auf Tempo zu kommen, gegen eine Betonwand zu prallen. Alle, die befürchten, bei Veränderungen etwas zu verlieren, haben vorsorglich Stoppschilder aufgestellt.
Zwar wird schon seit Jahren über eine Verringerung der immer noch 21 Trägerorganisationen in der Pensions- Kranken- und Unfallversicherung diskutiert, doch auch nach sündteuren Studien internationaler Berater gab es bisher keine Konsequenzen. Immer wieder kamen Wahltermine dazwischen, die es den Besitzstandswahrern leicht machten, alle Reformkonzepte in den Schubladen verschwinden zu lassen. Beharrungskräfte gibt es viele. Da die Sozialversicherung durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gespeist wird, ist sie als Selbstverwaltung der Finanziers organisiert. Die Sozialpartner haben sich ihre Reiche geschaffen: Hier regiert die Gewerkschaft, dort die Wirtschaftskammer. Man kann nicht nur gut dotierte Vorstandsund Direktorenposten besetzen, sondern auch Hundertschaften zu Mitgliedern in Kontroll- und Generalversammlungen ernennen. Selbst die ehrenamtliche Entsendung in Beiräte gilt als Hulderweis der Mächtigen für ihre Mitläufer.
Selbstverwaltet werden Abermilliarden. Jeder wacht über seinen Anteil. Die Bürokratie ist ein Bollwerk: Die Sozialversicherungsträger haben über 30.000 Beschäftigte, meist unkündbar, oft noch mit zusätzlichen Ruhegenüssen. Zusammenlegungen, Einsparungen? Nicht mit uns. Das sagen auch manche Landeshauptleute. Man lasse sich sicher nicht die Tasche greifen, tönt es aus Vorarlberg. Die dortige Krankenkasse steht besser da, weil im Ländle auch die Einkommen höher sind. Dass die gesetzliche Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft aller ist, scheint vergessen. nd so findet jeder eine Begründung, warum sich nichts ändern darf. Eine Reform wird für die Regierung Kurz jedenfalls kein kurzer Prozess sein.
Uwar Chefredakteur der Kleinen Zeitung