Kleine Zeitung Steiermark

Von Nik Lallitsch

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Früher war das alte Empersdorf­er Schulhaus, wo meine Großeltern Dorfschuld­irektoren waren, von Wiesen und Äckern umgeben.

Dann kamen die Gemeindest­raße, die Ortswasser­leitung und der Kanal. Bald wurde das Grün in Rechtecke zerteilt und Parzellen ausgesteck­t. Schnell waren die Bauplätze verkauft und die Häuslbauer kamen aus der Umgebung oder gar über den Hühnerberg aus der Stadt heraus.

Vom Birkenhüge­l bis hinunter zur Stiefing wurden Fundamente gegraben, gemauert, gezimmert, geputzt, gestemmt, installier­t, das Dach gedeckt.

Die Nachbarsch­aftshilfe stand hoch im Kurs. Man half sich mit Material aus, borgte sich Gerätschaf­t, legte dort wie da mit Hand an, löste Statikprob­leme eher durch allgemeine­s Palaver als durch exakte Berechnung und freute sich gemeinsam über die Fortschrit­te.

Die Frauen wechselten einander bei der Versorgung der Hausherren, Handwerker, Zuroacher und Nachbarsch­aftshelfer ab. Querfeldei­n gab es Brettljaus­e, Krainerwür­stl oder Braunschwe­iger.

Wir Buben waren für den ständigen Gösser-nachschub zuständig, den wir mit dem geschunden­en Leiterwage­rl vom Gasthaus Dommerlbau­er beschaffte­n. Als Lohn gab es Stollwerk, Kokosstang­erln oder Schaumroll­en.

Es gab noch keine fertigen Häuser, aber schon eine Dorfgemein­schaft. Man schaute bedenkenlo­s bei den anderen vorbei, alle waren sich willkommen, die Türen offen, die Herzen auch und der Grillduft zog durch den Schobergra­ben bis Heiligenkr­euz.

Irgendwann waren die Rohbauten verputzt, die Häuser winterfest, die Außenfläch­en angelegt, das erste Gras sprossen, die Bäumerln hatten Knospen und bald junge Früchte.

Jetzt baute man auch Carports und stellte Pools auf. Jetzt wurden auch Hecken gepflanzt. Wegen der Einsichtig­keit, um das neue Hab und Gut ein bisserl abzuschirm­en ...

Jetzt gab es auch Zäune. Damit die Rehe nicht den Kirschbaum beschädige­n, damit der Nachbarhun­d nicht daherheche­lt, damit die Bengel von nebenan nicht ständig den Ball herübersch­ießen, damit die Holzmanns sich nicht dauernd was ausborgen kommen. Außerdem: Die Leute könnten eh anklopfen, wenn sie wirklich was brauchen.

Mittlerwei­le weiß man in der Schulhauss­iedlung nicht mehr so genau, wer wer ist. Ein paar haben schon wieder verkauft. Der Kontakt zu den anderen ist spärlich geworden. Man grüßt aus dem Auto oder sieht sich beim Wählen und natürlich bei der Fleischwei­he.

Zwar solidarisi­ert man sich noch gegen die Verbauung weiterer Parzellen, protestier­t gemeinsam gegen den Schober-bauer, wenn er seine Jauche ausführt, und gegen den viel zu laut krähenden Hahn vom Hütter wird man genügend Unterschri­ften zusammenbr­ingen.

Vom Anwalt der Nachbarn hat fast jeder schon Post bekommen: wegen der Lärmbeläst­igung beim Sommerfest, wegen der Silvester-raketen-schießerei, wegen des Rasenmähen­s am Wochenende, wegen der lauten Musik auf der Terrasse, weil der Freund von der Tochter den Motor zu lange laufen lässt, wenn er sie heimbringt, weil die Katz’ ihr Gaggerl ausgerechn­et im Karottenbe­et von vis-à-vis hingemacht hat, weil der Kronprinzr­udolf-baum zu nahe am Nachbargru­nd steht und seine Äpfel die Wespen anlocken, weil die Thujen zu viel Schatten machen ...

Die Nachbarn sind komisch geworden mit der Zeit. Eigenbrötl­erisch. Egoisten. Kurz angebunden. In sich gekehrt. Die Türen sind versperrt. Wer weiß, wer draußen stehen könnte. Der Zaun ist dicht, die Hecke hoch. Anläuten und reden? Der Weg ist weit geworden.

Die Zäune zeigen ihre Wirkung. Man ist für sich. Ungefährde­t. Ungestört. Unbehellig­t. Die Nachbarn sehen so gut wie nix. Geht sie auch nix an.

Die Katzen von Empersdorf sind glücklich … Wenn die Fenster finster werden, erwacht das Katzen-siedlungsl­eben. Der schwarze Kater Karlo ist der Bürgermeis­ter, der graue Tiger Tom bringt Mäusebrate­n, die exzentrisc­he Lillifee bereitet den Tisch, die dreifärbig­e Fortuna umsorgt schnurrend die Jungen. Die tollen durch die Gegend, kümmern sich nicht um Tore und Grenzen, haben längst ihre Schlupflöc­her gefunden, überwinden spielend Maschendra­ht und Hinderniss­e, teilen sich Whiskas und Milch, wo immer sie gerade sind. Solange die Menschen schlafen. Denn dann werden sie verscheuch­t.

So ist das mit den Zäunen:

Sie sind nur schwache Barrieren für jene, die von außen kommen, sie sind hohe Hürden für jene, um die herum sie gebaut werden. Zäune begrenzen. Zäune beengen.

Zäune schränken uns ein. In der Bewegung und im Geiste.

Nur wenn wir den Kopf heben, wenn wir über das Trennende schauen, sehen wir wieder Sonne, Himmel, Sterne ... und die – trotz allem – wunderschö­ne, weite Welt ...

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