Zum Autor
geboren 1950 in Graz, zählt zu den wichtigsten Philosophen und Publizisten des Landes. Strasser lehrt Rechtsphilosophie an der Universität Graz. Der Träger des Österreichischen Staatspreises für Publizistik veröffentlichte gut zwei Dutzend Werke.
Aber so war es nicht immer, auch wenn die gute Einsamkeit schon immer ein Privileg besonderer Menschen war. Es waren traditionell die großen spirituellen Gestalten, die prophetischen Geister und Religionsgründer, die immer wieder die Einsamkeit suchten und sich zu diesem Zweck eine Zeit lang fernab vom menschlichen Gewimmel aufhielten. Denn diese Besonderen, darunter merkwürdige Heilige und stinkende Einsiedler wie der heilige Antonius, der in seiner angeblich von schrecklichen Visionen geplagt wurde, suchten Einkehr in ihrer eigenen Seele, hielten stille Zwiesprache mit den höheren Mächten oder verharrten in der höchsten Fülle des Seins, die dem flüchtigen Betrachter abstoßend anmuten mochte: als ein stumpfsinniges Starren ins Nichts.
Wer der jeweiligen Zivilisation, vom Rudelblick aus betrachtet, in eine Eigenwelt entfloh, der war – im Unterschied zum Einsamen aus harter Berufspflicht oder Überlebensnot: dem Schafhirten, Waldläufer oder einschichtigen Köhler – ein Lebenskünstler, ein Philosoph. Bis heute sprichwörtlich ist die Schule des Epikur, der um 341 vor Christus auf der Insel Samos geboren wurde und 271/70 in Athen starb. Der altgriechische Denker zog sich mit seinen Getreuen in einen Garten zurück, um dort, abseits vom Getümmel und den Launen der vielen, seine Art von Eudämonie, „Glückseligkeit“, zu leben. as richtige Wort für diesen Lebensstil, der sich allen bacchantischen Festlichkeiten und Umtrieben verweigerte, ist wohl: gesellige Einsamkeit. Eudämonie – das ist die Ethik des gebildeten Geistes, der um die Schmerzen und Gefährdungen des besinnungslosen Lebens weiß, um die Maßlosigkeit der Dummheit und die Schärfe der Affekte, die immer nur im Elend des unbefriedigten und unbefriedeten Lebens enden. Also zieht sich der Weise mit den Seinen in einen Garten zurück, worin er seine maßvollen, bescheidenen Freuden, darunter nicht nur die des Leibes, sondern vor allem des Geistes, ungestört kultivieren darf.
Jener Garten wird als Hortus conclusus des Christentums wiederkehren. Nun ist der still in sich verschlossene Raum der begnadete Leib der Gottesmutter. Marias Einsamkeit wird von den größten Künstlern, allen voran Leonardo da Vinci, in großen Verkündigungsbildern und dann, von weniger großen, auf Altarwerken, angereichert mit intimer Symbolik, dargestellt: als eine von der groben Außenhöhle
Dwelt abgeschlossene, eingefriedete Gartenlandschaft mit Lilien und dornenlosen Rosen, aber auch als ein eingefriedetes „Paradiesgärtlein“mit Akeleien, Veilchen, Maiglöckchen. iese europäische Tradition des guten einsamen Lebens, ob in der Form der epikureischen Glückseligkeit oder der allerinnigsten Freude jungfräulicher Empfängnis hat mit dem Hedonismus unserer Tage nichts zu schaffen. Dieser ist eine verzweifelte, weil unerfüllbare Sehnsucht nach einem Glück, von dem der große „Umwerter aller Werte“, Friedrich Nietzsche, dichtete: „Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“Es ist ein Rennen ohne Ende. Die Jagd nach Konsumgütern hätte der aristokratische Leidensmann Nietzsche indessen verabscheut, erst recht das von findigen Geschäftemachern angestiftete, gemetzelartige Fassen nach Billiggütern – Stichwort: Black Friday.
Aber die Kehrseite der hochgemuten Zurückgezogenheit von den vielen, den viel zu vielen, ist eben ein Hochmut, der leicht in Menschenverächterei umschlägt: Man verachtet alle Vergnügungen, die dem sprichwörtlichen „kleinen Mann“, dem Proleten und Kleinbürger, das mühselige, langweilige Leben erleichtern, auch wenn dabei der Blutdruck steigt und Lunge, Leber und Galle zuschanden werden. Ja, nicht selten passiert es, dass die künstlichen Erleichterungen im Drogenelend, dem Zerbrechen der
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