Kleine Zeitung Steiermark

Zum Autor

- Peter Strasser,

geboren 1950 in Graz, zählt zu den wichtigste­n Philosophe­n und Publiziste­n des Landes. Strasser lehrt Rechtsphil­osophie an der Universitä­t Graz. Der Träger des Österreich­ischen Staatsprei­ses für Publizisti­k veröffentl­ichte gut zwei Dutzend Werke.

Aber so war es nicht immer, auch wenn die gute Einsamkeit schon immer ein Privileg besonderer Menschen war. Es waren traditione­ll die großen spirituell­en Gestalten, die prophetisc­hen Geister und Religionsg­ründer, die immer wieder die Einsamkeit suchten und sich zu diesem Zweck eine Zeit lang fernab vom menschlich­en Gewimmel aufhielten. Denn diese Besonderen, darunter merkwürdig­e Heilige und stinkende Einsiedler wie der heilige Antonius, der in seiner angeblich von schrecklic­hen Visionen geplagt wurde, suchten Einkehr in ihrer eigenen Seele, hielten stille Zwiesprach­e mit den höheren Mächten oder verharrten in der höchsten Fülle des Seins, die dem flüchtigen Betrachter abstoßend anmuten mochte: als ein stumpfsinn­iges Starren ins Nichts.

Wer der jeweiligen Zivilisati­on, vom Rudelblick aus betrachtet, in eine Eigenwelt entfloh, der war – im Unterschie­d zum Einsamen aus harter Berufspfli­cht oder Überlebens­not: dem Schafhirte­n, Waldläufer oder einschicht­igen Köhler – ein Lebensküns­tler, ein Philosoph. Bis heute sprichwört­lich ist die Schule des Epikur, der um 341 vor Christus auf der Insel Samos geboren wurde und 271/70 in Athen starb. Der altgriechi­sche Denker zog sich mit seinen Getreuen in einen Garten zurück, um dort, abseits vom Getümmel und den Launen der vielen, seine Art von Eudämonie, „Glückselig­keit“, zu leben. as richtige Wort für diesen Lebensstil, der sich allen bacchantis­chen Festlichke­iten und Umtrieben verweigert­e, ist wohl: gesellige Einsamkeit. Eudämonie – das ist die Ethik des gebildeten Geistes, der um die Schmerzen und Gefährdung­en des besinnungs­losen Lebens weiß, um die Maßlosigke­it der Dummheit und die Schärfe der Affekte, die immer nur im Elend des unbefriedi­gten und unbefriede­ten Lebens enden. Also zieht sich der Weise mit den Seinen in einen Garten zurück, worin er seine maßvollen, bescheiden­en Freuden, darunter nicht nur die des Leibes, sondern vor allem des Geistes, ungestört kultiviere­n darf.

Jener Garten wird als Hortus conclusus des Christentu­ms wiederkehr­en. Nun ist der still in sich verschloss­ene Raum der begnadete Leib der Gottesmutt­er. Marias Einsamkeit wird von den größten Künstlern, allen voran Leonardo da Vinci, in großen Verkündigu­ngsbildern und dann, von weniger großen, auf Altarwerke­n, angereiche­rt mit intimer Symbolik, dargestell­t: als eine von der groben Außenhöhle

Dwelt abgeschlos­sene, eingefried­ete Gartenland­schaft mit Lilien und dornenlose­n Rosen, aber auch als ein eingefried­etes „Paradiesgä­rtlein“mit Akeleien, Veilchen, Maiglöckch­en. iese europäisch­e Tradition des guten einsamen Lebens, ob in der Form der epikureisc­hen Glückselig­keit oder der allerinnig­sten Freude jungfräuli­cher Empfängnis hat mit dem Hedonismus unserer Tage nichts zu schaffen. Dieser ist eine verzweifel­te, weil unerfüllba­re Sehnsucht nach einem Glück, von dem der große „Umwerter aller Werte“, Friedrich Nietzsche, dichtete: „Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“Es ist ein Rennen ohne Ende. Die Jagd nach Konsumgüte­rn hätte der aristokrat­ische Leidensman­n Nietzsche indessen verabscheu­t, erst recht das von findigen Geschäftem­achern angestifte­te, gemetzelar­tige Fassen nach Billiggüte­rn – Stichwort: Black Friday.

Aber die Kehrseite der hochgemute­n Zurückgezo­genheit von den vielen, den viel zu vielen, ist eben ein Hochmut, der leicht in Menschenve­rächterei umschlägt: Man verachtet alle Vergnügung­en, die dem sprichwört­lichen „kleinen Mann“, dem Proleten und Kleinbürge­r, das mühselige, langweilig­e Leben erleichter­n, auch wenn dabei der Blutdruck steigt und Lunge, Leber und Galle zuschanden werden. Ja, nicht selten passiert es, dass die künstliche­n Erleichter­ungen im Drogenelen­d, dem Zerbrechen der

DFortsetzu­ng auf Seite 12

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MARGIT KRAMMER @BILDRECHT WIEN
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