Nachwehen
Die verkohlte Ruine ragt wie ein Mahnmal über dem Viertel. „Die Flammen gingen senkrecht nach oben, über uns hinweg.“Tomassina Hessel ist auf dem Weg zu ihrem Apartment, das sie in jener Nacht vor sechs Monaten verlassen musste. Brennende Trümmer drohten auf ihren Wohnblock am Fuße des 24stöckigen Grenfell-hochhauses in London zu fallen.
„Ich schlief schon, als mein Nachbar an die Tür klopfte. Er stürmte an mir vorbei und öffnete das Fenster. Was wir sahen, war einfach schrecklich.“Ihr Wohnblock ist inzwischen ein Geisterhaus. Nur wenige Bewohner sind in die heruntergekommenen Sozialwohnungen zurückgekehrt – zu stark sind die Erinnerungen. „Man konnte gar nicht anders als hinstarren. Aber ab und zu sah man an den Fenstern Gestalten mit Flammen dahinter. Und da wurde mir klar, dass dort Menschen sterben.“71 Menschen kamen durch den Brand ums Leben. Dazu zählt auch ein nach dem Feuer tot geborenes Baby. Scotland Yard korrigierte die Zahl der vermuteten Opfer Mitte November herunter. Die Identifizierung wurde durch die völlige Zerstörung der oberen Stockwerke erschwert.
In der Nacht am 14. Juni nahm Hessel ihren vierjährigen Sohn, schnappte sich ein paar Gewänder und floh in Hauspantoffeln. Seit sechs Monaten lebt die 31Jährige nun in Hotels. Nur knapp 40 von 183 betroffenen Familien haben inzwischen ein dauerhaftes Zuhause gefunden. Alle anderen sind wie Hessel noch in Hotels oder Pensionen untergebracht – dort werden sie auch Weihnachten feiern.
„Für viele wird es ein hartes Weihnachtsfest werden“, befürchtet Pfarrer Michael Long von der Methodistenkirche Notting Hill, die seit der Brandnacht zur Kommunikationszentrale des Viertels geworden ist. Anrainer schmücken die Gegend um die Kirche weihnachtlich, „um Hoffnung zu geben, ohne grell oder trivial zu werden“, wie Long sagt. Über die Feiertage werden die Kirchentüren für alle offen stehen.
Am schlimmsten ist für viele Überlebende, dass nicht nur die Anrainer selbst, sondern auch Spezialisten schon seit Jahren vor der Feuerfalle im Grenfell
Vor einem halben Jahr starben 71 Menschen beim Brand im Grenfell-hochhaus in London. Die Trauer bei den Überlebenden ist groß – und auch das Misstrauen gegenüber dem Staat.