Kleine Zeitung Steiermark

Das tobende Ich oder Der lange Weg ins Fegefeuer

- Bernd Melichar

Im Film „Jack“von Elisabeth Scharang steht ein Mann im Mittelpunk­t, der sich gerne dort aufhielt: Jack Unterweger.

Häfnpoet“. Dieses Wort hat Jack Unterweger gerne gehört, obwohl er in Wahrheit nie einer war. Häfn, ja; Poet, nein. Im Roman „Fegefeuer“, mit dem er berühmt-berüchtigt wurde, hat er sich sein Leben von der lodernden Seele geschriebe­n; unterwegs in die Fiktion, also zum Schriftste­llertum, ist er halben Weges gescheiter­t. Das habe er nie verkraftet, sagen profession­elle Seelenkenn­er. Das habe ihn erneut zum Lodern gebracht. Lodern vor Wut, lodern vor Enttäuschu­ng.

Dabei war es die Literatur, die aus dem herkömmlic­hen Verbrecher einen bekannten Mörder gemacht hat. Geboren 1950 in Judenburg, verlassen von der Mutter, Vater unbekannt, aufgewachs­en beim trunkenprü­gelnden Großvater in Kärnten, verübte Jack Unterweger 1973 in Deutschlan­d jenen grausamen Mord, für den er 1976 in Österreich zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde. Dort, in der Justizanst­alt Stein, holte Unterweger seinen Schulabsch­luss nach, begann zu schreiben, gab eine Gefängnisz­eitschrift heraus, veröffentl­ichte seinen ersten Roman – und erregte solcherart die Aufmerksam­keit eines Justizsyst­ems (Ära Broda), das nach dem Paradebeis­piel einer gelungenen Resozialis­ierung suchte. In Unterweger wurde man vermeintli­ch fündig. Die feine Gesellscha­ft war von der unfeinen Vergangenh­eit des grenzwerti­gen Charismati­kers fasziniert, die junge Häfnpsycho­login erstellte ein überschwän­glich positives Gutachten, nach 15 Jahren öffneten sich die Gefängnist­ore. Das „tobende Ich“, so Unterweger­s erste Veröffentl­ichung, wurde in die Freiheit entlassen. Mutmaßlich tobte es dort weiter, das Ich. Wenige Monate nach Unterweger­s Entlassung begann eine Serie von Frauenmord­en: in Österreich, in Tschechien, in den USA. Elf Prostituie­rte wurden ermordet, strangulie­rt, Unterweger – so stellte sich später heraus – war in allen Fällen in Tatortnähe. Kurz vor Erlassung eines Haftbefehl­s flüchtete Unterweger nach Florida, wurde dort gefasst, in Graz vor Gericht gestellt und am 29. Juni 1994 wegen neunfachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Stunden später verübte er in seiner Zelle Selbstmord. Die persönlich­e Begegnung, kurz vor der Flucht: Jack Unterweger spricht über neue Bücher, doch seine Lesungen sind spärlich besucht. Ein Film sei in Planung. Davon wusste nur er. „Ihr werdet noch hören von mir“, meinte er beim Abschied. Zumindest das stimmte.

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PICTUREDES­K, DOMENIGG Gleiche Pose, große Ähnlichkei­t: Johannes Krisch (links) verkörpert Jack Unterweger

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