Die Geheimnisse eines „Goldfingers“
Die „Paradise Papers“haben es erneut ans Licht gebracht: Wer das Geld hat, regiert die Welt, diktiert die Steuergesetze und will immer noch mehr vom großen Kuchen, frei nach Konstantin Wecker: „Genug ist nicht genug, genug kann nie genügen.“Dass das Streben nach paradiesischem Reichtum auch böse enden kann, führt uns das Schicksal des phrygischen Königs Midas vor Augen, der sich von Dionysos etwas wünschen durfte, weil er einen Trinkkumpan des Gottes aus der Gefangenschaft entließ. Der Urvater aller Spekulanten, eine Art Dagobert Duck der griechischen Mythologie, erbat sich also, dass alles, was er mit seinen Händen berührte, zu Gold werden sollte. Und so kam es auch.
Ein Gemälde des flämischen Meisters Frans Francken d. J., entstanden um 1615, zeigt „Mister Goldfinger“vor einer barocken Tafel mit Austern, Pfau und anderen Delikatessen. Doch des Königs Begeisterung für das schnelle Gold ist im Kreise seiner Tischgefährten längst dem Entsetzen gewichen, denn beim Versuch, sich den einen oder anderen Happen einzuverleiben, verwandelt sich jede Köstlichkeit augenblicklich in ungenießbares Edelmetall, selbst der gute Tropfen Wein.
Laut dem Dichter Ovid, der von diesen Verwandlungen in seinen „Metamorphosen“erzählt, flehte der von Hunger und Durst Gepeinigte um die Rücknahme seiner Zauberkräfte, doch Dionysos wollte ihm nur einen Tipp geben: Er möge doch seine Hände im Fluss Paktolos waschen. Midas befolgte den Rat und seine Gabe übertrug sich auf den kleinasiatischen Fluss, der fortan goldhaltigen Sand führte und einem späteren König namens Krösus zu sagenhaftem Reichtum verhalf.
Doch der größte Gierschlund der Antike kam nicht ganz ungeschoren davon. Als er einmal Apollon beleidigte, zog ihm dieser die Ohren lang, sodass Midas nur noch mit einer Mütze herumlaufen konnte. Nur sein Barbier wusste vom Makel seines Herrn. Und weil dieser sein Geheimnis nicht ganz für sich behalten konnte, grub er an einem Flussufer ein Loch und rief drei Mal hinein: „König Midas hat Eselsohren!“Dann schüttete er das Loch wieder zu, doch das Schilfrohr hatte es bereits vernommen und flüsterte es anderen Binsen weiter.
So ist der Sage von Midas so manch interessante Binsenweisheit zu verdanken. Etwa die, dass nicht einmal das verschwiegenste Flüstern verborgen bleibt, erst recht nicht in Zeiten von Google und NSA. Und dass niemand davor gefeit ist, sich ebenfalls ein goldenes Händchen zu wünschen, mag der Preis dafür auch noch so hoch sein.
„Es geht um Geld, Gier und Geheimnisse“, sagte dieser Tage ein Staatsanwalt zu Beginn des Buwog-prozesses. Einer der Angeklagten hat dies bereits reumütig bestätigt. Das Schicksal des eselsohrigen Midas sollte uns allen eine Warnung sein ...